… "[2] Auch soweit die Revision des Angeklagten betreffend die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige immaterielle Schäden der Adhäsionsklägerin Aussicht auf einen Teilerfolg hat, steht dem Angeklagten keine Prozesskostenhilfe zu. Denn ihm ist bereits eine Pflichtverteidigerin beigeordnet. Diese Beiordnung erstreckt sich auf das Adhäsionsverfahren."

[3] 1. Die Frage, ob bei bereits bestehender Pflichtverteidigung Prozesskostenhilfe für das Adhäsionsverfahren gewährt und der Verteidiger insoweit beigeordnet wird, ist umstritten. Während einerseits angenommen wird, die Pflichtverteidigung umfasse auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren (vgl. OLG Rostock, Beschl. v. 15.6.2011 – I Ws 166/11, AGS 2011,540 = RVGreport 2011, 424 (Burhoff); OLG Köln, Beschl. v. 29.6.2005 – 2 Ws 254/05, AGS 2005, 436 = RVGreport 2005, 316 (Ders.); OLG Hamm, Beschl. v. 31.5.2001 – 2 [s] Sbd. 6-87/01; OLG Schleswig, Beschl. v. 30.7.1997 – 1 StR 114/97, NStZ 1998, 101 = AGS 1998, 6 m. Anm. Madert; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 143 Rn 1; KK-StPO/Willnow, 8. Aufl., § 140 Rn 4; SK-StPO/Velten, 5. Aufl., § 404 Rn 21; Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4143 VV Rn 21; HK-RVG/Kroiß, 8. Aufl., RVG VV 4141 Rn 22; Gerold/Schmidt, RVG, 24. Aufl., VV 4143, 4144 Rn 5, jeweils m.w.N.), wird andererseits eine gesonderte Beiordnung für erforderlich gehalten (vgl. OLG Dresden, Beschl. v. 27.3.2013 – 3 Ws 2/13, JurBüro 2014,134; KG, Beschl. v. 24.6.2010 – 1 Ws 22/09 unter Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung des KG, RVGreport 2011,142 (Burhoff); OLG Bamberg, Beschl. v. 22.10.2008 – 1 Ws 576/08; NStZ-RR 2009, 114; MüKo-StPO/Grau, 2019, § 404 Rn 8; KMR/von Heintschel-Heinegg/Bockemühl, StPO, Stand 2020, § 404 Rn 29; SSW-StPO/Schöch, 4. Aufl., § 404 Rn 19; Schneider/Volpert/Fölsch, Gesamtes Kostenrecht, 2. Aufl., VV RVG Nr. 4141 – 4147 Rn 41, jeweils m.w.N.). Der BGH hat die Frage – soweit ersichtlich – bislang nicht entschieden (vgl. BGH, Beschl. v. 17.12.2013 – 2 StR 351/13).

[4] 2. Der Senat vertritt die Auffassung, dass die Bestellung eines Pflichtverteidigers auch die Vertretung im Adhäsionsverfahren umfasst.

[5] a) Ist die Mitwirkung eines Verteidigers notwendig im Sinne von § 140 StPO, so erstreckt sich diese Notwendigkeit auf das gesamte Verfahren (§ 143 Abs. 1 StPO), mithin auch auf die Verteidigung gegen Adhäsionsanträge (KK-StPO/Willnow, a.a.O.).

[6] Dies ergibt sich bereits aus der engen tatsächlichen und rechtlichen – in der Regel untrennbaren – Verbindung zwischen der Verteidigung gegen den Tatvorwurf und der Abwehr des aus der Straftat erwachsenen vermögensrechtlichen Anspruchs des Verletzten im Sinne von § 403 StPO (vgl. BGH, Beschl. v. 30.3.2001 – 3 StR 25/01, BGHR StPO § 397a Abs. 1 Beistand 4). Die sich aus der strafprozessualen Verknüpfung von Tat und Anspruch resultierende Effizienz ist gerade Zweck des Adhäsionsverfahrens (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 31.5.2001 – 2 [s] Sbd. 6 – 87/01, NStZ 1998, 101 = AGS 1998, 6 m. Anm. Madert). Auch der Gesetzgeber ist mit der Regelung der Nr. 4143 RVG-VV davon ausgegangen, dass die das Adhäsionsverfahren betreffende Gebühr ohne Weiteres dem "Pflichtverteidiger" zusteht (vgl. BT-Drucks 15/1971, S. 228; siehe außerdem Burhoff/Volpert, RVG Straf- und Bußgeldsachen, 6. Aufl., Nr. 4143 VV, Rn 21).

[7] Die in zeitlicher und sachlicher Hinsicht umfassende Wirkung der Bestellung eines Pflichtverteidigers ist überdies der durch das Gesetz zur Neuregelung des Rechts der notwendigen Verteidigung vom 10.12.2019 (BGBl I, S. 2128) neugefassten Vorschrift des § 143 Abs. 1 StPO zu entnehmen. Denn der Gesetzgeber hat die Richtlinie 2016/1919 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26.10.2016 über Prozesskostenhilfe für Verdächtige und beschuldigte Personen in Strafverfahren (ABl L 297 vom 4.11.2016, S. 1, "PKH-Richtlinie") unter Beibehaltung des Systems der notwendigen Verteidigung in nationales Recht umgesetzt (vgl. BT-Drucks 19/13829, S. 2). Er hat eine Entscheidung gegen die "antragsbasierte Prozesskostenhilfe für Beschuldigte anstelle oder neben der notwendigen Verteidigung" getroffen (vgl. BT-Drucks 19/13829, S. 4, 27), weil es "keine Vorteile mit sich bringen würde". Daraus wird deutlich, dass es nach dem Willen des Gesetzgebers im Strafverfahren kein Nebeneinander von Prozesskostenhilfe und notwendiger Verteidigung geben soll.

[8] b) Die Vorschrift des § 404 Abs. 5 StPO, die die Beiordnung eines Rechtsanwaltes für den Angeschuldigten im Adhäsionsverfahren zulässt, gebietet keine andere Wertung, denn sie bleibt zumindest für die Fälle, in denen die Voraussetzungen des § 140 StPO nicht vorliegen, von Bedeutung.“

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