Zwei Dinge sind interessant, die sich leider so nicht bzw. nicht eindeutig aus der Entscheidung des OLG Stuttgart ergeben. Zum einen handelt es sich um eine Messung mit Leivtec XV3 und die GenStA hat einer Einstellung nach § 47 OWiG, die selbst im Zulassungsverfahren jederzeit möglich wäre, nicht zugestimmt, sodass das AG im neuen Verfahren wohl sachverständig beraten über die Messung befinden muss (vgl. auch OLG Stuttgart zfs 2021, 594; OLG Celle zfs 2021, 469). Eine Einstellung nach § 47 OWiG dürfte nur bei Verstößen ohne Fahrverbot in Betracht kommen.

Zum anderen besteht offenbar derzeit eine erhöhte Unsicherheit im Umgang mit Anträgen auf erweiterte Akteneinsicht. Wird der Antrag bei der Behörde gestellt, kann gegen eine ablehnende Entscheidung der Antrag nach § 62 OWiG gestellt werden, gegen den ein Rechtsmittel nicht gegeben ist (fehlerhaft insoweit LG Hagen zfs 2021, 293). Wird der Antrag bei Gericht gestellt, so kann hiergegen die einfache Beschwerde zum LG erhoben werden. Wurde der Antrag jedoch – wie hier – zuerst bei der Behörde gestellt, dort ignoriert und das Verfahren an das Gericht abgegeben und erinnert der Verteidiger dann bei Gericht an seinen Antrag – so hier geschehen, dann ist diese "Erinnerung" kein Antrag nach § 62 OWiG, sondern allenfalls eine Anregung, nach § 69 Abs. 5 OWiG zu verfahren oder – nach entsprechender Umdeutung – ein originär neuer Akteneinsichtsantrag, den das Gericht verbescheiden kann. Hier aber hat das Amtsgericht mit eigenem Js-Aktenzeichen, nicht nur mit OWi-Aktenzeichen, über den vermeintlichen Antrag auf gerichtliche Entscheidung entschieden. Das ist natürlich formal falsch und würde trotz § 62 Abs. 2 S. 3 OWiG die Möglichkeit der Beschwerde zum LG offenlassen.

Dass die Rechtsansicht des OLG Stuttgart zur Messreihe diskussionswürdig und meiner Ansicht nach falsch ist, wurde bereits andernorts ausgeführt (vgl. auch Ropertz, NZV 2021, 500 ff.). Für die Verteidigung ist diese Rechtsprechung natürlich Gold wert. Hinzu kommt jedoch als Kritikpunkt, dass das OLG Stuttgart die Problematik der Rechtzeitigkeit benennt, aber nicht ernst nimmt. Denn hier wurde weder ein Antrag nach § 62 OWiG bei der Behörde gestellt noch wurde gegen die Entscheidung des AG, die Akteneinsicht nicht zu gewähren, Beschwerde zum LG erhoben. Wie man da davon sprechen kann, dass alles getan wurde, um dem Anspruch auf Akteneinsicht gerecht zu werden, erschließt sich mir nicht.

RAG Dr. Benjamin Krenberger

zfs 12/2021, S. 709 - 711

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