Rechtsanwälte[1] in der Personenschadenregulierung sehen sich regelmäßig der Situation ausgesetzt, dass sie für ihre geschädigten Mandanten Ansprüche auf Schadenersatz durchzusetzen haben, deren Höhe sich zunächst nicht bestimmen lässt. In der Praxis führt dies regelmäßig dazu, dass der Versicherer auf Anforderung Vorschussleistungen erbringt, die mitunter sogar den geforderten Beträgen entsprechen. Diese Zahlungen erfolgen indes regelmäßig unter Vorbehalt. Teils einschränkend mit der Formulierung "unter Vorbehalt und allein für den Fall der vollständigen außergerichtlichen Erledigung".

Damit möchte der Versicherer – aus seiner Sicht nachvollziehbar – jegliche Bindungswirkung vermeiden. So könnte in der vorbehaltlosen Zahlung möglicherweise ein deklaratorisches Anerkenntnis gesehen werden. Der Bundesgerichtshof judiziert indes in ständiger Rechtsprechung, dass eine vorbehaltlose Zahlung allein für sich gesehen noch nicht als rechtlich bindendes Anerkenntnis angesehen werden kann.[2]

Wenn der Versicherer gleichwohl nur unter Vorbehalt leistet, so dürfte dies weitergehende Gründe haben. Wie die Praxis zeigt, möchte sich der Versicherer ein "Bestreiten" offenhalten. Nach § 138 Abs. 3 ZPO gelten Tatsachen, die nicht ausdrücklich bestritten werden, als zugestanden, wenn nicht die Absicht, sie bestreiten zu wollen, aus den übrigen Erklärungen der Parteien hervorgeht. Leistet der Versicherer nun unter Vorbehalt, so wird seiner Zahlung regelmäßig keine Erfüllungswirkung im Sinne des § 362 BGB zukommen. Eine Erfüllungswirkung tritt nämlich nicht ein, wenn der Schuldner unter Vorbehalt leistet, d.h., wenn er ohne Anerkennung seiner Schuld die Leistung erbringt.[3] Die Vorbehaltszahlung soll mithin nichts an der den Gläubiger treffenden Beweislast ändern.[4] Dies führt aber dazu, dass der Geschädigte nach wie vor beweisbelastet bleibt und der Versicherer sämtliche Tatsachenbehauptungen wirksam bestreiten darf. Wenn der in Anspruch genommene Versicherer "brav" die jeweils geforderten Zahlungen erbracht hat, führt dies beim Geschädigten und seinem Anwalt nicht selten zu der trügerischen Einschätzung, dass der Anspruch dem Grunde nach mit Erfolg durchzusetzen ist. Bei mittelschweren und schweren Haftpflichtschäden finden regelmäßig Regulierungsgespräche statt, in denen dann zwischen dem vertretenden Anwalt und der Versicherung ausgelotet wird, ob nicht eine außergerichtliche Gesamterledigung in Betracht kommen kann. Gelangt man im Rahmen der Regulierungsverhandlung sodann nicht zu einem zufriedenstellenden Ergebnis, weil die wechselseitigen Vorstellungen zu weit auseinanderliegen, so bleibt im Folgenden nur die gerichtliche Geltendmachung. Spätestens hier wird dann offenkundig, warum der Versicherer stets unter Vorbehalt geleistet hat.

Die den Versicherer vertretenden Rechtsanwälte[5] bestreiten sodann – prozessrechtlich zulässig, menschlich fragwürdig – das gesamte Unfallgeschehen. Während sich der Geschädigte und sein Anwalt zunächst im Hinblick auf die Haftung dem Grunde nach sicher wähnten, müssen sie nunmehr aufgrund des Bestreitens vollen Beweis erbringen, dass das den Schaden verursachende Ereignis vollumfänglich von dem Versicherungsnehmer der Versicherung herbeigeführt wurde. Da seit dem Schadenereignis regelmäßig Jahre ins Land gezogen sind, werden sich Zeugen nicht mehr ausreichend erinnern. Auch Sachverständige können möglicherweise keine weitere Aufklärung herbeiführen, weil sich beispielsweise die örtliche Situation geändert hat. Aus der Unfallkreuzung ist zwischenzeitlich ein Kreisverkehr geworden, so dass ein Sachverständiger im Hinblick auf Sichtweiten etc. keine weitere Aufklärung herbeiführen kann mit der Folge, dass das Gericht zu einer Unaufklärbarkeit gelangt, da für den zur Entscheidung berufenen Richter keine sichere Überzeugungsbildung (mehr) möglich ist. Spätestens dann wird den handelnden Personen bewusst, warum Versicherungen regelmäßig unter Vorbehalt Leistungen erbringen. Dieser latenten Gefahr kann im Interesse des Geschädigten und gleichzeitig zur Eigenabsicherung des Rechtsanwalts wirksam mit der Feststellungsklage entgegengewirkt werden, wie aufzuzeigen sein wird. Im Einzelnen:

[1] Der Verfasser ist ausschließlich auf Geschädigtenseite tätig, so dass dieser Aufsatz die Sicht des Geschädigtenanwaltes wiedergibt.
[3] BGH, Urt. v. 19.1.1983, VIII ZR 315/81, NJW 1983, 1111; Soergel-Schmidt, BGB 10. Auflage, § 362, Rn 12; Fetzer in MüKo, 8. Auflage § 362, Rn 4 und Rn 8.
[4] S.o.
[5] Versicherer lassen sich meist nur noch durch hochspezialisierte allein auf Versicherungsseite tätige Anwaltskanzleien vertreten, die deutschlandweit tätig sind, wie z.B. Bach, Langheid, Dallmayr mit mehr als 150 Berufsträgern oder Eick & Partner mit mehr als 60 Berufsträgern.

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