VVG § 180; AUB 2008 Ziff. 2.1 5.2.6

Leitsatz

1. Die für die Feststellung der Invalidität erforderliche Dauerhaftigkeit ist nicht gegeben, wenn die krankheitsbedingte Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit (hier aufgrund einer rezidivierenden depressiven Störung) nur während akuter Phasen auftritt, deren Eintrittswahrscheinlichkeit zum maßgebenden Zeitpunkt deutlich unter 50 % liegt.

2. Eine nach Ziff. 5.2.6 AUB 2008 zum Leistungsausschluss führende psychische Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit liegt dann vor, wenn sie ausschließlich auf einer psychischen Reaktion auf das Unfallereignis beruht, d.h. wenn ihre Entstehung allein mit der psychogenen Natur der Verarbeitung des Gesamtgeschehens durch den VN erklärt werden kann und wenn der Unfall und seine physischen Folgen allenfalls Auslöser für ihre Entstehung geworden sein können; davon zu unterscheiden sind diejenigen Fälle, in denen der Unfall und seine physischen Folgen nicht nur Auslöser, sondern der eigentliche Grund für die Entstehung der psychischen Störung geworden sind, denn dann kann nicht mehr lediglich von einer psychischen Reaktion auf das Unfallereignis ausgegangen werden.

OLG Hamm, Urt. v. 7.7.2016 – 6 U 4/16

1 Aus den Gründen:

" … Dem Bekl. steht kein weitergehender als der vom LG titulierte Anspruch auf Zahlung von Kapitalleistungen aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Unfallversicherungsvertrag wegen einer unfallbedingten Beeinträchtigung seiner geistigen Leistungsfähigkeit i.S.d. Ziff. 2.1.1.1 AUB 2008 gegen die Kl. zu."

I) Der Bekl., der für das Vorliegen der bedingungsgemäßen Voraussetzungen für die von ihm geltend gemachte Invalidität darlegungs- und beweispflichtig ist … , hat den ihm obliegenden Beweis dafür, dass er infolge der erlittenen psychischen Unfallfolgen dauerhaft in seiner geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt ist, nicht erbracht.

1) Nach den nachvollziehbaren Feststellungen des SV F … litt der Kl. im Anschluss an das streitgegenständliche Unfallgeschehen v. 3.1.2011 an einer mittelgradigen rezidivierenden depressiven Störung. Diese Erkrankung zeichnet sich dadurch aus, dass sich Phasen ohne depressive Symptome mit solchen mit depressiven Symptomen abwechseln. Zwar hat der Sachverständige auf Seiten des Bekl. ein nicht unerhebliches Maß an Aggravation festgestellt, welches eine sachgerechte Auswertung der von ihm vorgenommenen der testpsychologischen Untersuchungen unmöglich gemacht hat. Der Senat folgt jedoch den in sich schlüssigen und überzeugenden Ausführungen des SV, wonach sich das Vorliegen der depressiven Erkrankung aus dem Gesamtbild der bisherigen Untersuchungsergebnisse einschließlich der vorangegangenen ärztlichen Behandlungen und der ärztlich verschriebenen und vom Bekl. bis heute regelmäßig eingenommenen Medikamente ergibt. Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Bekl. die ihm verschriebenen Medikamente grundlos zu sich nimmt, haben sich nicht ergeben.

2) Die psychische Beeinträchtigung des Bekl. ist zur Überzeugung des Senats auch unfallbedingt, denn nach den nachvollziehbaren Ausführungen des SV F ist davon auszugehen, dass die rezidivierende depressive Störung durch das streitgegenständliche Unfallereignis und die damit verbundenen Folgen, insb. der erlittenen Schmerzen und dem Verlust seiner selbstständigen Tätigkeit als Handelsvertreter, mitursächlich ausgelöst worden ist.

3) Es kann jedoch nicht festgestellt werden, dass die durch die psychische Störung verursachte Beeinträchtigung der geistigen Leistungsfähigkeit des Bekl. dauerhaft i.S.d. Ziff. 2.1.1.1 AUB 2008 ist. Nach der darin getroffenen Vereinbarung der Parteien ist eine Beeinträchtigung nur dann dauerhaft, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung des Zustandes nicht erwartet werden kann. Für den Beginn der Dreijahresfrist ist auf den Zeitpunkt des Unfalls abzustellen (vgl. Ziff. 9.4 AUB 2008 … ). Für die danach zu treffende Prognose der Dauerhaftigkeit kommt es auf den Zeitpunkt nach Ablauf der zwischen den Parteien vereinbarten Dreijahresfrist (Neubemessungsfrist) und nicht auf die Jahresfrist an, binnen derer die Invalidität eingetreten sein muss, denn der Bekl. hat die von ihm auf die behauptete psychische Beeinträchtigung gestützten Invaliditätsansprüche noch vor Ablauf der Neubemessungsfrist am 3.1.2014 mit der von ihm im März 2012 erhobenen Widerklage geltend gemacht. In einem solchen Fall gehen die Prozessbeteiligten … typischerweise davon aus, dass der Streit insgesamt in dem vor Fristablauf eingeleiteten Prozess ausgetragen werden soll, einschließlich etwaiger Invaliditätsfeststellungen (vgl. BGH VersR 2016, 183, 184).

a) Für die Frage der Dauerhaftigkeit der psychischen Störung des Bekl. ist im Ausgangspunkt zu berücksichtigen, dass die psychische Erkrankung an rezidivierender depressiver Störung – nach den Feststellungen des SV – im Wesentlichen zu einer Beeinträchtigung des seelischen Wohlbefindens führt, in der Weise, dass sie den Bekl. in seinen Aktivitäten einschränkt und zu erhöhter Nachdenkl...

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