StVO § 23 Abs. 1a

Leitsatz

Die Auslegung des Begriffs des Benutzens durch Aufnehmen oder Halten eines Mobiltelefons oder des Hörers eines Autotelefons, in welcher das Headset zum Hörer eines Mobil- oder Autotelefons wird, erweitert die Bußgeldnorm des § 23 Abs. 1a StVO in unzulässiger Weise, indem es die technischen Funktionen umdefiniert. Die Benutzung eines In-Ohr-Headsets ist nicht mit der Aufnahme oder dem Halten des Hörers eines Autotelefons gleichzusetzen, weil das In-Ohr-Headset grds. nicht mit der Hand gehalten werden muss, sondern eine eigenständige Befestigung am Kopf des Fahrers besitzt.

OLG Hamm, Beschl. v. 7.7.2016 – III-1 RBs 109/15

Sachverhalt

Das AG hat den Betr. wegen fahrlässiger verbotswidriger Benutzung des Mobil- oder Autotelefons als Führer eines Kfz zu einer Geldbuße von 40 EUR verurteilt. Es hat festgestellt: "Am 5.1.2014 um 15:05 Uhr befuhr der Betr. mit einem Taxi der Marke VW, Kennzeichen SI … , die W-Straße in S. Währenddessen benutzte er als Führer eines Kfz verbotswidrig ein Mobil- oder Autotelefon, indem er per Druck auf einen entsprechenden Knopf seines In-Ohr-Headsets das Gespräch an nahm und das In-Ohr-Headset, dessen Halterung defekt war, mit der Hand an sein Ohr hielt, um zu telefonieren." Das OLG Hamm hat die Rechtsbeschwerde zugelassen, das angefochtene Urt. aufgehoben und den Betr. freigesprochen.

2 Aus den Gründen:

"II. Durch Entscheidung des Berichterstatters als Einzelrichter wird die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des Rechts nach § 80 Abs. 1 Nr. 1 OWiG zugelassen und die Sache nach § 80a Abs. 3 OWiG auf den Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen. Zur Frage, ob die Benutzung eines In-Ohr-Headsets, welches anstelle eines Mobiltelefons oder Hörers eines Autotelefons benutzt und während der Fahrt gehalten wird, die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1a StVO erfüllt, existiert – soweit ersichtlich – noch keine obergerichtliche Rspr. des OLG Hamm. Der Fall bietet Anlass, die Rechtsauffassung des OLG in einer für die nachgeordneten Gerichte richtungsgebenden Weise zum Ausdruck zu bringen."

III. Die (auch im Übrigen) zulässige Rechtsbeschwerde hat auf die Sachrüge hin Erfolg und führt zum Freispruch.

Das AG hat die Auffassung vertreten, Sinn und Zweck der Regelung des § 23 Abs. 1a StVO sei, dass Fahrzeugführer während der Benutzung des Mobil- oder Autotelefons beide Hände zur Bewältigung ihrer eigentlichen Fahraufgabe frei hätten. Das bei dem Betr. festgestellte und ihm zur Last gelegte Verhalten widerspräche jedoch diesem Sinn und Zweck, da er, wenn er per Druck auf einen entsprechenden Knopf seines In-Ohr-Headsets das Gespräch annehme und dieses mit der Hand an sein Ohr halte, hierbei seine Hände zur Bewältigung der eigentlichen Fahraufgabe nicht frei habe. Auch wenn der Betr. nicht das Mobiltelefon selbst, sondern lediglich das damit verbundene In-Ohr-Headset gehalten habe, komme dem Headset vorliegend jedoch die Funktion eines Telefonhörers zu. Da der Betr. mittels des Headsets ein Telefonat angenommen habe, weise die Verwendung des Headsets einen unmittelbaren Bezug zu einer der Funktionstasten des Mobiltelefons auf. Dies sei entgegen des Beschl. des OLG Bamberg (Beschl. v. 5.11.2007 – 3 Ss OWi 744/07, zit. nach juris) auch mit dem Wortsinn des § 21 Abs. 1a StVO (gemeint ist wohl § 23 Abs. 1a StVO) deshalb vereinbar und auch für den Bürger eindeutig erkennbar, da aus dem Wortlaut der Norm klar hervorgehe, dass ein Fahrzeugführer während der Fahrt oder bei laufendem Motor ein Mobil- oder Autotelefon nicht in den Händen halten dürfe, um dieses zu benutzen. Auch sei für den Bürger erkennbar, dass er während des Betriebs des Fahrzeugs bei laufendem Motor beide Hände für die Bewältigung der Verkehrsvorgänge zur Verfügung haben solle.

Die dem Schuldspruch zugrunde liegende Normauslegung des AG ist mit § 23 Abs. 1a StVO nicht vereinbar, weil sie dessen Wortlaut auch unter Berücksichtigung der nach dem Wortsinn denkbaren Auslegungsmöglichkeiten nicht gerecht wird. Art. 103 Abs. 2 GG verpflichtet den Strafgesetzgeber ebenso wie den Gesetzgeber in Ordnungswidrigkeitensachen (BVerfG NJW 2005, 349), die Voraussetzungen der Sanktionierung so genau zu umschreiben, dass sich Tragweite und Anwendungsbereich der Norm durch Auslegung ermitteln lassen. Auch in Grenzfällen, die wegen der Vielgestaltigkeit des Lebens gerade im Bereich technischer Neuentwicklungen unvermeidlich sind, muss für den Normadressaten das Risiko einer bußgeldrechtliehen Ahndung wenigstens voraussehbar sein. Dafür maßgeblich ist in erster Linie der für den Normadressaten aus dessen Sicht erkennbare und verstehbare Wortlaut des gesetzlichen Sanktionstatbestandes (st. Rspr. seit BVerfGE 64, 389, 393).

Diesen Wortlaut, der auch bei erweiternder Auslegung die äußerste Grenze zur verbotenen Analogie darstellt, hat das AG bei seiner Interpretation des § 23 Abs. 1a StVO überdehnt Nach §§ 49 Abs. 1 Nr. 22, 23 Abs. 1a StVO, 24 StVG handelt ordnungswidrig, wer vorsätzlich oder fahrlässig als Fahrzeugführer ein Mobil- oder Autotelefon benutzt, indem er hier...

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