BGB § 249 § 253 § 258 § 280 § 611 § 823

Leitsatz

Eine im Rahmen einer Nasenoperation grob fehlerhaft herbeigeführte Verletzung der Schädelbasis, die zu einer massiven Einblutung im Gehirn, zu einem Frontalhirnsyndrom und dadurch zum vollständigen Verlust des Riechvermögens, zum weitgehenden Verlust des Orientierungsvermögens, der Konzentrationsfähigkeit, des Antriebs, der Entschlussfähigkeit, der Libido, des Geschmacksinns und der Fähigkeit, Freude zu empfinden, insgesamt damit zu einer nachhaltigen Veränderung der Persönlichkeit und zu vollständiger Erwerbsunfähigkeit führt, rechtfertigt ein Schmerzensgeld von 200.000 EUR.

OLG Köln, Urt. v. 13.4.2016 – 5 U 107/15

Sachverhalt

Der 1969 geborene Kl. litt seit Jahren an Nasenatmungsbehinderungen, chronischer Nasennebenhöhlenentzündung und einer beidseitigen Riechstörung. Er stellte sich in dem Krankenhaus der Bekl. zu 1) vor. Der Bekl. zu 2), der niedergelassener Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde ist, war in dem Krankenhaus als Belegarzt tätig. Er empfahl dem Kl. eine Begradigung der Nasenscheidenwand.

Wie in der Berufungsinstanz nicht mehr streitig ist, verstieß der Bekl. zu 2) bei der von ihm durchgeführten Operation gegen anerkannte Grundsätze der ärztlichen Kunst. Bei der Korrektur der Nasenscheidewandverbiegung, der Behandlung der unteren Nasenmuscheln und einem Eingriff im Bereich der Nasennebenhöhlen verletzte er die Schädelbasis im Bereich des Siebbeins und verursachte einen knöchernen Defekt von 1 × 2 cm sowie eine Gewebeverdrängung mit Blutung bis in die Hirnventrikel. Weiterhin wurden Riechfasern verletzt. Als Folge der Schädelbasisverletzung leidet der Kl. an einem mittelgradig ausgeprägten Frontalhirnsyndrom, das sich durch eine mittelgradige psychomotorische Verlangsamung, einer erheblichen Verminderung des Antriebs durch eine leichtgradige Depression, einer Affektminderung bis zu einer Affektnivellierung, eine räumliche Orientierungsstörung leichteren Grades, ein vermindertes Selbstwertgefühl, Unentschlossenheit, Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, insb. im Hinblick auf Daueraufmerksamkeitsleistungen sowie Libidoverlust auszeichnete. Das fronto-orbitale Frontalhirnsyndrom korrelierte mit einem nachgewiesenen zerstörten Gehirnareal an der Frontobasis, das etwa 4–5 cm tief in das Gehirn bis zum Areal der ehemaligen intrazerebralen Blutung reichte.

Das LG hat den Bekl. zu 2) u.a. zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 75.000 EUR verurteilt.

Die Berufung des Kl., der eine Verurteilung des Bekl. zu 2) zur Zahlung eines Schmerzensgeldes von 500.000 EUR verfolgt hat, hatte i.H.v. 200.000 EUR Erfolg. Die Berufung des Bekl. zu 2), der ein Schmerzensgeld von 30.000 EUR für ausreichend ansah, wurde zurückgewiesen.

2 Aus den Gründen:

" … Der Kl. kann von dem Bekl. aufgrund des behandlungsfehlerbedingt eingetretenen Gesundheitsschadens eine billige Entschädigung in Geld fordern, §§ 280 Abs. 1, 823 Abs. 1, 253 Abs. 2 BGB."

Das Schmerzensgeld soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für die Beeinträchtigungen bieten, die nicht vermögensrechtlicher Natur sind. In erster Linie bilden die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingte Leiden, dessen Dauer und das Ausmaß der Beeinträchtigungen der Lebensführung im privaten und beruflichen Bereich die wesentliche Grundlage für die Bemessung der Entschädigung.

Nachdem sich der Senat durch Anhörung des Kl. und Vernehmung der Zeugin N ein Bild von den Auswirkungen des Gesundheitsschadens auf die Lebensführung des Kl. gemacht hat, hält er ein Schmerzensgeld i.H.v. 200.000 EUR für angemessen.

Der Kl. ist durch das Frontalhirnsyndrom als Folge der Schädelbasisverletzung in ganz erheblichem Maße in seiner Lebensführung beeinträchtigt. Seiner beruflichen Tätigkeit als Rangierer kann er nicht mehr nachgehen. An seiner schadensbedingten Berufungsunfähigkeit bestehen keine vernünftigen Zweifel. Ausgehend von den überzeugenden Ausführungen von Prof. Dr. I und den glaubhaften Angaben des Kl. kann kein ernsthafter Zweifel daran bestehen, dass der Kl. infolge der durch das Frontalhirnsyndrom bedingten Einschränkungen nicht in der Lage war und ist, seine Tätigkeit als Rangierer auszuüben. Insb. die sachverständig festgestellten Orientierungsschwierigkeiten, die eingeschränkte Konzentration und die festgestellte Kurzzeitgedächtnisstörung belegen, dass er die an einen Rangierer zu stellenden Anforderungen nicht erfüllen konnte und kann. Und es bestehen auch keine Anhaltspunkte dafür, dass sich der Zustand des Kl. in der Zukunft entscheidend bessern und er eine berufliche Tätigkeit wieder aufnehmen können wird. Der Kl. bezieht eine gesetzliche Rente wegen voller Erwerbsminderung. …

Aufgrund der glaubhaften Angaben des Kl. und der Zeugin N ist der Senat ferner davon überzeugt, dass der Kl. durch den Eingriff in nahezu allen Bereichen des privaten Alltags überaus erheblich eingeschränkt ist. Während er früher die Kampfsportart Win Shu mit Leidenschaft ausgeübt hat, ist ihm dies heute nur noch ganz eingeschränkt möglich. Spaziergänge in ihm unbekannte...

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