Das RVG regelt in Vorbem. 3 Abs. 4 S. 2 VV RVG a.F. = Vorbem. 3 Abs. 4 S. 3 VV RVG n.F. lediglich den Fall, dass mehrere Geschäftsgebühren entstanden sind. In diesem Fall ist für die Anrechnung die zuletzt entstandene Geschäftsgebühr maßgebend. Die hier verfahrensgegenständliche Fallgestaltung, dass eine Geschäftsgebühr auf mehrere Verfahrensgebühren anzurechnen ist, ist im Gesetz nicht geregelt. Der BGH hat dieses Problem hier im Ergebnis sachgerecht gelöst.

I. Keine mehrfache Anrechnung

Der von der beklagten RSV herangezogene Lösungsweg, den Anrechnungsbetrag auf beide Verfahrensgebühren in voller Höhe anzurechnen, würde dazu führen, dass entgegen der Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG die Anrechnung nicht höchstens zu einem Gebührensatz von 0,75 erfolgt, sondern in Höhe von 1,5. Bei einer Anrechnung auf drei Verfahrensgebühren wäre nach der Methode der RSV der Anrechnungsbetrag mit 2,25 höher als die hier mit einem Satz von 1,5 entstandene Geschäftsgebühr. Die Unrichtigkeit der Auffassung der Bekl. liegt damit auf der Hand.

II. Keine mehreren Gegenstände

Nicht ganz folgen kann ich den Ausführungen des BGH insoweit, die anwaltliche Tätigkeit hätte vorgerichtlich und im Verfahren vor dem LG D vor der Prozesstrennung vier Gegenstände betroffen, wobei der BGH wohl an die Anzahl der Gegner angeknüpft hat. Dies kann jedenfalls nicht im gebührenrechtlichen Sinne gemeint sein, da das RVG unter dem Begriff desselben Gegenstandes das Recht oder das Rechtsverhältnis versteht, hinsichtlich dessen der Anwalt auftragsgemäß tätig werden soll. Dabei ist bei wertender Betrachtung auf die wirtschaftliche Identität abzustellen (BGH RVGreport 2007, 220 (Hansens)). Da der Kl. in den beiden nach Trennung betriebenen Einzelverfahren gegen die jeweiligen Bekl. denselben Betrag aus demselben Rechtsverhältnis geltend gemacht hatte, lag hier derselbe Gegenstand vor. Auf die Anzahl der Gegner kommt es insoweit nicht an. Im Übrigen würde sich die Anrechnungsfrage dann gar nicht stellen, wenn vier verschiedene gebührenrechtliche Gegenstände vorgelegen hätten. Die Anrechnungsvorschrift der Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG setzt nämlich das Vorliegen desselben Gegenstandes voraus.

Damit überzeugt auch die Begründung des BGH nicht, auf die Verfahrensgebühr jedes der beiden Verfahren sei der Anrechnungsbetrag der Geschäftsgebühr zu 50 % deshalb anzurechnen, weil in jedem Rechtsstreit zwei der ursprünglich gemeinsam geltend gemachten vier Gegenstände verfolgt worden seien. Im Ergebnis halte ich die Berechnung des Anteils von 50 % hier jedoch deshalb für zutreffend, weil zwei Verfahrensgebühren entstanden sind. Hätten sich aus dem ursprünglichen Rechtsstreit nach Trennung insgesamt drei Verfahren ergeben, so wären auf jede Verfahrensgebühr 33 1/3 % des Anrechnungsbetrages anzurechnen gewesen.

III. Quotale Anrechnung

Der BGH hat hier bei der Ermittlung des jeweiligen Anrechnungsbetrages den Leitsatz seiner eigenen Entscheidung nicht beachtet. Danach soll quotal angerechnet werden entsprechend dem Verhältnis des jeweiligen Einzelstreitwertes zu dem Streitwert des ursprünglichen Gesamtverfahrens. Der Streitwert des Rechtsstreits vor dem LG D betrug 57.750 EUR, der Streitwert vor der Trennung und auch nach der Trennung und derjenige des Verfahrens vor dem LG S ebenfalls 57.750 EUR. Eine solche quotale Anrechnung ist dann richtig, wenn sich aus der vorgerichtlichen Tätigkeit hinsichtlich der Gesamtforderung mehrere Teilklagen hinsichtlich Teilforderungen entwickeln.

IV. Richtige Abrechnung

Die Prozessbevollmächtigten des Kl. hätten ihre Vergütung für jeden der beiden Rechtsstreite wie folgt abrechnen müssen:

 
1. 1,3 Verfahrensgebühr, Nr. 3100 VV RVG (Wert: 57.750 EUR) 1.459,90 EUR
hierauf gem. Vorbem. 3 Abs. 4 S. 1 VV RVG anzurechnen: 50 % der 0,75 Geschäftsgebühr, Nr. 2300 VV RVG (Wert: 57.750 EUR) – 421,13 EUR
Rest 1.038,77 EUR
2. 1,2 Terminsgebühr, Nr. 3104 VV RVG (Wert: 57.750 EUR) 1.347,60 EUR
3. Postentgeltpauschale, Nr. 7002 VV RVG 20,00 EUR
Zwischensumme: 2.406,37 EUR
4. 19 % Umsatzsteuer, Nr. 7008 VV RVG 457,21 EUR
Summe: 2.863,58 EUR

V. Fälligkeit der Vergütung

Der Einwand der beklagten RSV, wegen der inhaltlich falschen Berechnung der Anwaltsgebühren sei die Anwaltsvergütung insgesamt nicht fällig, ist unzutreffend. Die Fälligkeitstatbestände sind in § 8 Abs. 1 RVG geregelt. Die Vergütung wird hier gem. § 8 Abs. 1 S. 2 RVG deshalb fällig geworden sein, weil in den jeweiligen Verfahren vor dem LG D und dem LG S der Rechtszug beendet war.

VI. Einforderbarkeit der Vergütung

Die Vergütung war auch einforderbar, weil die Prozessbevollmächtigten – wovon hier der BGH ausgegangen ist – dem Kl. eine den Formerfordernissen des § 10 RVG genügende Kostenberechnung erteilt haben. Inhaltliche Mängel, etwa der Ansatz einer unrichtigen Gebühr oder – wie hier – eine unzutreffende Gebührenanrechnung ändern an der Einforderbarkeit der Vergütung nichts (OLG München AnwBl. 1974, 355; OLG Düsseldorf AGS 2008, 432; N. Schneider, RVGreport 2012, 322, 327). Somit berechtigen inhal...

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