In meinen Ausführungen "angetippt", aber nicht näher behandelt habe ich drei kleinere Problemkreise, die ich abschließend noch kurz – mehr stichwortartig – ansprechen möchte: das Geständnis, die Unverwertbarkeit anlassloser Überwachung und die Einführung des Messfotos in die Hauptverhandlung.

1. Zum Geständnis: In oberlandesgerichtlichen Entscheidungen zu Geschwindigkeitsverstößen liest man oft, auf die Angaben zum Messverfahren und Toleranzwert könne nur in den wenigen Fällen eines echten "qualifizierten" Geständnisses des Betroffenen verzichtet werden. Das setze voraus, dass der Betroffene eine bestimmte (Mindest-)Geschwindigkeit nicht nur tatsächlich einräume, sondern zusätzlich nach den konkreten Umständen auch einräumen könne, gerade die vorgeworfene Geschwindigkeit – mindestens – gefahren zu sein. In der Mehrzahl der Fälle werde er hierzu schlechterdings nicht in der Lage sein: fehlende bzw. unzureichende Erinnerung an den Messvorgang, Nichtbeachtung der Geschwindigkeit oder Unmöglichkeit der näheren Verifizierung der eigenen Geschwindigkeit aufgrund ungünstiger äußerer Bedingungen stünden dem regelmäßig entgegen.[259]

Diese Auffassung verstößt nicht nur gegen § 261 StPO, sondern auch gegen § 121 Abs. 2 GVG, der Vorlagepflicht bei Abweichungen von tragenden Erwägungen einer BGH-Entscheidung: Der 4. Strafsenat hat im Jahr 1993 auch entschieden, dass es als Grundlage eines glaubhaften Geständnisses ausreicht, wenn der Betroffene an den konkreten Vorfall zwar überhaupt keine Erinnerung hat, aufgrund seines regelmäßigen Fahrverhaltens oder der andersgelagerten Zielrichtung seines Verteidigungsvorbringens aber die Zuverlässigkeit des eingesetzten Messgeräts und das Ergebnis der Messung nicht bezweifeln will.[260] Das OLG Hamm meinte demgegenüber zeitweise sogar, auch bei Vorliegen eines glaubhaften Geständnisses müsse das (standardisierte) Messverfahren und die Messtoleranz mitgeteilt werden.[261] Das Gegenteil steht in BGHSt 39, 291, 303. Zudem ist es ständige Rechtsprechung des BGH in Strafsachen, dass der Tatrichter einem Geständnis auch dann folgen darf, wenn der Angeklagte die Sachverhaltsannahmen der Anklage nur knapp einräumt.[262] Ausführlich begründen muss er seine Überzeugung von der Glaubhaftigkeit des Geständnisses nicht,[263] im Gegenteil: Der Umstand, dass es in den Gründen eines Strafurteils an einer ausdrücklichen Erörterung der für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit des Geständnisses maßgeblichen Gesichtspunkte fehlt, ist in der Regel nicht geeignet, einen Rechtsfehler zu begründen.[264] Strengere Anforderungen in Bußgeldsachen einzuführen, ist verfehlt.

2. Zur anlasslosen Verkehrsüberwachung: Die nach dem aufsehenerregenden Beschluss der 2. Kammer des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. August 2009[265] ausufernd geführte Diskussion[266] ist nach den ergänzenden Verfassungsgerichtsentscheidungen aus den Jahren 2010[267] und 2011[268] wieder – wie es in einem Beitrag so schön heißt – "auf das Normalmaß" abgeflaut:[269] Der Anfangsverdacht, der für eine auf § 100h Abs. 1 S. 1 Nr. 1 StPO gestützte Messung des Abstands oder der Geschwindigkeit erforderlich ist, kann nach zutreffender, aber in der Rechtsprechung durchaus bestrittener Auffassung mit einer Schätzung aufgrund visueller Beobachtung des Verkehrs begründet werden.[270] Auch genügt zur Verdachtsbegündung die Über- bzw. Unterschreitung vor Beginn der Messserie eingegebener Geschwindigkeits- oder Abstandsgrenzwerte.[271] Dabei kann es aber zu einem ausgesprochenen Grenzfall kommen, so wie ihn das OLG Jena[272] zu der stationären Abstands- und Geschwindigkeitsmessanlage VKS Select zu entscheiden hatte: Die keine individuellen Daten aufzeichnende Selektionskamera – das "elektronische Auge" – registrierte bei hohem Verkehrsaufkommen derart viele Verdachtsfälle, dass in sehr schneller Folge Auslösungssignale an die nachfolgenden Tat- und Identkameras gesendet wurden. Diese zeichneten dann ununterbrochen auf. Auch bei einem solchen "Durchlaufen" der Tat- und Identkameras sind jedoch nach Auffassung des Thüringer OLG die Aufzeichnungen (konkret) verdachtsbezogen. Wird nämlich aufgrund des Verdachts eines Abstands- oder Geschwindigkeitsverstoßes gegen ein bestimmtes (erstes) Fahrzeug die identifizierende Aufzeichnung ausgelöst und ist diese noch nicht beendet, während aufgrund eines neuen Verdachts gegen ein nachfolgendes (zweites) Fahrzeug bereits ein neues Signal eingeht, wird die Aufzeichnung allein aufgrund des zweiten Signals und damit aufgrund eines konkret gegen das zweite Fahrzeug gerichteten Verdachts nicht beendet, sondern fortgesetzt. Doch damit nicht genug: Auch Pkw, die selbst kein Signal auslösen, etwa weil sie zwar zu schnell, aber nicht schnell genug fahren, um den vorprogrammierten Grenzwert zu erreichen oder die erst nach der Selektionskamera zu dicht auf- oder zu schnell fahren, ja auch sonst unauffällig fahrende reine Handysünder oder Gurtmuffel können erfasst werden – alles kein Problem, belehrt uns das OLG Jena: ...

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