In der Regel wird bei einem Verkehrsunfall eines im Ausland wohnhaften Geschädigten in Polen auch das materielle polnische Recht zur Anwendung gelangen. Dies ergibt sich entweder aus der Verordnung Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.7.2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom II) oder dem sog. Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4.5.1971. Beide sehen im Regelfall eine Anwendung des Rechts des Ortes vor, an dem das Unfallereignis stattgefunden (Art. 3 HÜ) hat bzw. der Erstschaden (vgl. Art. 4 Abs. 1 Rom II) eingetreten ist. Beide Übereinkommen lassen jedoch unterschiedliche Ausnahmen von diesem Grundsatz zu. Zudem steht es den Parteien frei, eine Vereinbarung über das sachlich anzuwendende Recht zu treffen. Dies eröffnet für den Geschädigten die Möglichkeit, durch eine geschickte Auswahl des Gerichtsstandortes zugleich das anzuwendende Übereinkommen und damit das sachliche Recht zu bestimmen. Eine genaue Kenntnis über die in Betracht kommenden Gerichtsstände ist daher ebenso von besonderer Bedeutung wie eine Kenntnis der Ausnahmen zur Anwendung des materiellen Rechts.

1. Gerichtsstände nach der EuGVVO

Innerhalb der Europäischen Union (EU) und des Europäischen Wirtschaftsraums (EWR, Ausnahme: Dänemark) wird die internationale Zuständigkeit durch die Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO, in Kraft getreten am 1.3.2001) geregelt, die maßgeblich für alle Klagen gegen Beklagte ist, die in einem EU-Mitgliedsstaat (mit Ausnahme von Dänemark) ihren Wohnsitz haben. Hierbei ist zwischen folgenden Gerichtsständen zu differenzieren:

a) Die EuGVVO sieht in § 2 EuGVVO ebenso wie die ZPO in den §§ 13, 17 ZPO eine allgemeine Zuständigkeit am Wohnsitz der beklagten Partei vor. Bei einer juristischen Person gilt gem. Art. 60 EuGVVO der Ort als "Wohnsitz", an dem sich ihr satzungsmäßiger Sitz, ihre Hauptverwaltung oder ihre Hauptniederlassung befindet. Die EuGVVO sieht in Art. 6 Nr. 1 EuGVVO den Gerichtsstand der Streitgenossenschaft vor. Eine hierfür erforderliche enge Beziehung ist anzunehmen, wenn Fahrer, Halter und Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer als Gesamtschuldner verklagt werden, so dann beide an einem der Wohn- bzw. Geschäftssitze verklagt werden können. Gem. Art. 5 Nr. 3 EuGVVO können diese Streitgenossen desweiteren einzeln oder zusammen am Gerichtsstand des Unfallortes, an dem das schädigende Ereignis (konkret der Erstschaden) eingetreten ist, verklagt werden.

 

Beispiel

Ereignet sich ein Unfall in Poznan am Wohnsitz des Unfallgegners, während seine Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung ihren Sitz in Warschau hat, können beide als Beklagte entweder bei einem polnischen Gericht in Poznan oder Warschau als Gesamtschuldner verklagt werden.

b) Mit der Entscheidung des EuGH vom 13.12.2007 (Az. C 463/0 6)[3] ist nunmehr bestätigt worden, dass der gegnerische Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer, der seinen Firmensitz innerhalb der EU hat, am Wohnsitz des Geschädigten verklagt werden kann, wenn in diesem Staat eine "direkte" Klage gegen den Versicherer zugelassen ist. Der EuGH legt die Vorschrift des Art. 11 Abs. 2 EuGVVO in diesem Zusammenhang weit zugunsten des Geschädigten aus. Allerdings ist bei diesem besonderen Gerichtsstand nach Art 11 Abs. 2 EuGVVO die Annexzuständigkeit nach Art. 6 EuGVVO nicht anwendbar, die sich lediglich auf allgemeine Gerichtsstände bezieht.[4]

 

Beispiel

In oben genanntem Beispiel kann daher am Wohnsitz des Geschädigten in Deutschland auch vor einem deutschen Gericht Klage erhoben werden. Dies aber nur gegen den im EU-Ausland befindlichen Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer (Art. 9, 11 EuGVVO).

[3] EuGH zfs 2008, 139; ebenso BGH zfs 2007, 143 in seinem Vorlagebeschluss.
[4] Riedmeyer zfs 2008, 602 ff.; Nugel VRR 2009 284 ff.

2. Die Bestimmung des sachlich anzuwendenden Rechts

Die Frage, welches materielle Schadensersatzrecht zur Geltung kommt, richtet sich danach, ob jeweils die Rom II Verordnung oder das Haager Übereinkommen zur Anwendung gelangt. Die Rom II Verordnung gilt zwar mit Wirkung seit dem 11.1.2009 gem. Art. 32 Rom II zwischen allen Mitgliedstaaten der EU unmittelbar und damit auch in Deutschland und Polen. Zugleich sieht sie in Art. 28 Rom II vor, dass das Haager Übereinkommen gegenüber dieser Verordnung vorrangig ist. Da Polen dem Haager Übereinkommen beigetreten ist, findet dieses Übereinkommen bei einer Klage in Polen Anwendung. Entscheidet sich der Geschädigte dagegen für eine Direktklage gegen den ausländischen Versicherer in Deutschland, welches dem Haager Übereinkommen nicht beigetreten ist, gilt hier allein die Rom II Verordnung. Dies kann in Ausnahmefällen zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Bestimmung des anzuwendenden Rechts führen.

 

Beispiel

Ein deutscher Staatsbürger erleidet als Insasse eines polnischen Reisebusses in Wien einen Verkehrsunfall. Der der Reise zugrunde liegende Beförderungsvertrag wurde in Deuts...

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