I. Einleitung

In der Praxis fällt immer wieder auf, dass das dem Geschädigten anzulastende Mitverschulden bei der Schmerzensgeldfindung Probleme bereitet oder zumindest zu Diskussionen Anlass gibt. Noch schwieriger wird die Berücksichtigung eines doppelten Mitverschuldens, wenn ein solches dem Geschädigten aus zwei unabhängigen Rechtsgründen zuzurechnen ist, etwa wegen Geschwindigkeitsüberschreitung beim Entstehen des Schadensereignisses und wegen Nichtangurtens beim Entstehen des Schadens aus diesem Schadensereignis.

Die Aufarbeitung der angesprochenen Problematik soll nachfolgend anhand eines fiktiven Fallbeispiels mit Lösungsskizze erörtert werden, wobei der Schwerpunkt der Arbeit auf der praktischen Handhabung des jeweiligen Mitverschuldens liegen soll.

II. Fallbeispiel

Der nicht angeschnallte Geschädigte fuhr mit seinem Pkw auf einer Bundesstraße und näherte sich einem Kreuzungsbereich, an dem die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt ist. Dort hielt der von rechts aus einer untergeordneten Landstraße kommende spätere Unfallgegner zunächst an, der nach links in die Bundesstraße einfahren wollte. Der Unfallgegner fuhr in die vorfahrtsberechtigte Bundesstraße ein, da er die Annäherungsgeschwindigkeit des Geschädigten von 120 km/h unterschätzt hat. Obgleich der Geschädigte aus einer Bremsausgangsgeschwindigkeit von 120 km/h sofort eine Vollbremsung eingeleitet hat, kollidierte er zunächst frontal in Höhe der Hinterachse des unfallgegnerischen Pkws und kam anschließend nach rechts von der Fahrbahn ab. Dort überschlug sich der nicht angeschnallte Geschädigte mit seinem Pkw mehrfach, wobei er aus dem Fahrzeug herausgeschleudert wurde. Die sachverständigenseits festgestellte Geschwindigkeitsüberschreitung des Geschädigten von 50 km/h war unfallkausal.

Der Geschädigte erlitt folgende Verletzungen:

Multiple Frakturen des Gesichtsschädels, multiple Schnittwunden im Gesicht, Trümmerfraktur des Wirbels BWK 5/6, Fraktur des rechten Sprunggelenks, der rechten Kniescheibe und des rechten Handgelenks, eine Fraktur des Sternums sowie mehrerer Rippen, eine Luxationsfraktur des Hüftgelenks rechts sowie zahlreiche Prellungen.

Als Dauerschaden ist im Wesentlichen eine Querschnittslähmung von der Hüfte abwärts mit einer neurogenen Harnblasen- und Darmentleerungsstörung verblieben.

Das doppelte Mitverschulden kommt häufig auch in der Konstellation vor, dass sich ein Beifahrer unangeschnallt zu einem erkennbar betrunkenen oder übermüdeten oder ohne Fahrerlaubnis fahrenden Fahrer ins Auto setzt und auf der Fahrt verunfallt.[1]

[1] Vgl. Beispielsfälle in Greger/Zwickel, Haftungsrecht des Straßenverkehrs, 5. Auflage, § 22, Rn 50 ff.

III. Mitverschulden beim Entstehen des Schadensereignisses

Die Ermittlung der Haftungsquote richtet sich nach § 17 StVG. Das Gesetz macht in § 17 StVG die Schadenersatzpflicht im Verhältnis der Parteien zueinander davon abhängig, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder von dem anderen Teil verursacht worden ist. Damit bringt das Gesetz zum Ausdruck, dass in die Abwägung nur diejenigen Tatbeiträge eingebracht werden dürfen, die sich tatsächlich auf die Schädigung ausgewirkt haben.[2] Die bei der Abwägung maßgeblichen Umstände müssen also feststehen, d.h. unstreitig, zugestanden oder nach § 286 ZPO bewiesen sein.[3] Das beiderseitige Verschulden ist nur ein Faktor der Abwägung.[4]

Der Unfallgegner hat unzweifelhaft die Vorfahrt verletzt, wohingegen der Geschädigte aufgrund der Geschwindigkeitsüberschreitung um 50 km/h ebenfalls einen erheblichen Tatbeitrag geliefert hat. Vorliegend wird im Rahmen der Abwägung von einer Haftungsquote von 50 : 50 ausgegangen.[5]

Dies bedeutet grundsätzlich, dass der Geschädigte aus der Summe sämtlicher unfallkausaler Schadensposten lediglich eine Quote von 50 % erhält. Dieser Grundsatz gilt zumindest nach der Rechtsprechung des BGHs allerdings nicht uneingeschränkt in Bezug auf das Schmerzensgeld. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 12.3.1991[6] im Anschluss an die Entscheidung des BGHs vom 21.4.1970[7] den Orientierungssatz aufgestellt, dass bei der Bemessung der "billigen Entschädigung" nach BGB § 847 Abs. 1 (alt) das Mitverschulden des Verletzten nicht etwa in der Weise zu berücksichtigen ist, dass zunächst ein Schmerzensgeld ermittelt wird, wie es ohne das Mitverschulden des Verletzten angemessen wäre, und sodann eine der Mitverschuldensquote entsprechende Kürzung erfolgt. Vielmehr stellt das Mitverschulden – so der BGH – bei der Festsetzung des Schmerzensgeldes lediglich ein Bemessungselement neben anderen dar, wobei sich die einzelnen Bemessungselemente, je nach den konkreten Umständen des Einzelfalls, unterschiedlich auswirken können; ihre Gewichtung ist wesentliche Sache des Tatrichters.

In zwei neuen Entscheidungen zur Schmerzensgeldbemessung hat der BGH zu den maßgebenden Umständen für die Höhe des Schmerzensgeldes wie folgt Stellung genommen:[8]

"Maßgebend für die Höhe des Schmerzensgeldes sind im Wesentlichen die Schwere der Verletzungen, das durch diese bedingten Leiden, dessen Dauer, das Ausmaß der Wahrnehmung der Beeinträchtig...

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