Der Wiederbeschaffungswert eines Fahrzeugs ist der Wert, den der Geschädigte bei einem seriösen Gebrauchtwagenhändler unter Berücksichtigung aller wertbildenden Faktoren aufwenden muss, um einen gleichwertigen Pkw zu erwerben.[6] Dieser Wert wird regemäßig durch das Gutachten eines unabhängigen Sachverständigen vor Ort ermittelt. Nicht selten besteht Streit über die Höhe des Wiederbeschaffungswertes. Während der Sachverständige des Geschädigten z.B. den Wiederbeschaffungswert mit EUR 8.000,– annimmt, legt die Versicherung ihrer Abrechnung einen Betrag von EUR 7.500,– zugrunde. Anstatt die Differenz im Klageverfahren einzuklagen, bietet sich dem Geschädigten die Möglichkeit, den Wiederbeschaffungswert im selbstständigen Beweisverfahren feststellen zu lassen. Die unterschiedlichen Wiederbeschaffungswerte können darüber hinausgehende Bedeutung erlangen. Der BGH judiziert in ständiger Rechtsprechung, dass der Geschädigte fiktiv die von dem Sachverständigen geschätzten Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswertes abrechnen kann, wenn er das Fahrzeug mindestens sechs Monate weiternutzt und es zu diesem Zweck gegebenenfalls verkehrssicher (teil-)reparieren lässt.[7] In diesem Fall ist der Geschädigte nicht auf den Wiederbeschaffungsaufwand[8] beschränkt, der regelmäßig geringer ist.

Liegen daher im Ausgangsfall die kalkulierten Reparaturkosten z.B. bei EUR 7.900,–, so kann der Geschädigte bei Zugrundelegung eines Wiederbeschaffungswertes von EUR 8.000,- und einer weiteren Nutzung von sechs Monaten die Reparaturkosten in Höhe von EUR 7.900,– beanspruchen, obwohl sich z.B. der Wiederbeschaffungsaufwand bei einem anzunehmenden Restwert von EUR 3.000,– allein auf EUR 5.000,– beläuft. Da dem Haftpflichtversicherer regemäßig daran gelegen ist, "Totalschäden zu kalkulieren"[9] , werden nicht selten Wiederbeschaffungswerte kalkuliert, die die Reparaturkosten überschreiten, weil dann – von konkreter Abrechnung abgesehen – allein die Totalschadenabrechnung verbleibt. Hier bietet es sich an, den Wiederbeschaffungswert zeitnah im Rahmen eines selbstständigen Beweisverfahrens feststellen zu lassen. Dies idealerweise mit folgendem Antrag:

"Wurde der Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs des Antragstellers … Fahrgestellnummer … zum … ausgehend von dem seinerzeitigen Zustand des Fahrzeugs und der seinerzeitigen Laufleistung von … km bei einer Erstzulassung vom … . mit EUR … sachgerecht ermittelt?"

Bestätigt der gerichtliche Sachverständige den von dem freien Sachverständigen ermittelten Wiederbeschaffungswert, so wird sich die Versicherung der Abrechnung auf Basis fiktiver Reparaturkosten nicht verschließen, wohingegen sich der Antragsteller mit dem Wiederbeschaffungsaufwand begnügt, falls sich der von der Versicherung vorgegebene Wiederbeschaffungswert bestätigt.

Alternativ hierzu kann der Geschädigte noch zu einer konkreten Reparaturkostenabrechnung überwechseln,[10] was jedenfalls dann regelmäßig möglich ist, wenn die konkreten Reparaturkosten den Wiederbeschaffungswert um nicht mehr als 30 % überschreiten.[11] Durch das selbstständige Beweisverfahren lässt sich daher relativ schnell Klarheit dahingehend verschaffen, welcher Wert tatsächlich der Abrechnung zugrunde zu legen ist.

[6] Vgl. BGH, Urt. v. 17.5.1966 – VI ZR 252/64, NJW 1966, 1454 f.
[8] Als Wiederbeschaffungsaufwand bezeichnet man die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und Restwert.
[9] Becker, Wird die Schadenregulierung nach dem 50. VGT für den Geschädigten fairer? Der Verkehrsanwalt 2012, 5. ff.
[10] Vgl. zur Wechselmöglichkeit von der fiktiven zur konkreten Reparaturkostenabrechnung, BGH, Urt. v. 17.10.2006 – VI ZR 249/05, zfs 2007, 148.

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