Der BGH[35] ist der Auffassung, dass in denjenigen Fällen, in denen ein nach § 116 VI SGB X privilegierter Angehöriger zivilrechtlich verantwortlich den Schaden herbeigeführt hat, die Schadensersatzforderung gegen den Familienangehörigen und der Direktanspruch gegen dessen Versicherer beim Geschädigten verbleibe und es diesem dann freistehe, ob er diesen Anspruch – ungekürzt um Leistungen von dritter Seite – zusätzlich geltend mache oder nicht. Während ein nicht diesem Privilegierungskontext unterfallender Geschädigter selbstverständlich die Drittleistungen anspruchsmindernd anzusetzen hat, bekommt der (sozialversicherte) Familienangehörige die Schadenersatzforderung zusätzlich zu den Drittleistungen: Das Unglück entwickelt sich finanziell zum Glücksfall. So würde im entschiedenen Fall (so der Leitsatz Ziff. 1)[36] die Geschädigte neben einer Erwerbsminderungsrente von 2.000 EUR/Monat zusätzlich den bei ihr rechtlich verbliebenen Verdienstausfall in gleicher Höhe vom Schadenersatzpflichtigen einfordern dürfen, also Monat für Monat 2.000 EUR mehr an Einkünften erzielen als ohne den Unfall[37] (im Sachschadenrecht werden einem Geschädigten schon deutlich geringere Einmalbeträge unter Hinweis auf das Bereicherungsverbot – zu Recht – verwehrt).

Nachdem der BGH grundsätzlich dem Geschädigten eine deutliche Bereicherung zugestanden hatte, kamen dann dem Senat wohl Zweifel am zunächst gefundenen Ergebnis, und zwar konkret mit Blick auf die damit ins Trudeln geratene Gesamtschuldnerausgleichssituation. Nachdem, ohne dies näher zu begründen, davon ausgegangen wird, Legalzessionen seien im Falle der Gesamtschuldnerschaft aufspaltbar, kommt der BGH über ein nur schwer nachvollziehbares komplexes Konstrukt von Gesamtschuldnerschaft und Gesamtgläubigerschaft (z.T. in analoger Anwendung) zu einer Abwägung der Interessen nach Treu und Glauben.

[35] BGH, Urt. v. 17.10.2017 – VI ZR 423/16 – jurisPR-MedizinR 2/2018 Anm. 1 (Anm. Plagemann) = jurisPR-VerkR 5/2018 Anm. 1 (Anm. Jahnke) = NZV 2018, 133 (Anm. Martin) = r+s 2018, 43 (Anm. Lemcke) = VersR 2018, 120 (Anm. Höher VersR 2018, 831).
[36] Die Korrektur im konkreten Fall über Treu und Glauben (juristische Volte) im Hinblick auf den Zweitschädiger hat außer Betracht zu bleiben.
[37] In diesem Sinne zwischenzeitlich OLG Köln, Urt. v. 20.5.2020 – 5 U 137/19 – NZV 2020, 427 (Anm. Felz, NZB eingelegt, BGH – VI ZR 825/20).

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