"Der rechtzeitig angebrachte sowie form- und fristgerecht begründete Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache – zumindest vorläufig – Erfolg. Die Rechtsbeschwerde war wegen Versagung des rechtlichen Gehörs zuzulassen und das angefochtene Urt. aufzuheben."

Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 27.11.2015 u.a. Folgendes ausgeführt: “Da das AG Schwelm den Betroffenen zu einer Geldbuße von mehr als 100 EUR, aber nicht mehr als 250 EUR verurteilt hat, ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urt. zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rspr. zu ermöglichen oder das Urt. wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 OWiG). Die Rechtsbeschwerde ist vorliegend wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs zuzulassen. Das Rügevorbringen muss dabei den strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG genügen (zu vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 2.8.2007 – 2 Ss OWi 464/07, juris; Göhler, OWiG, 16. Aufl. § 80, Rn 16d), was vorliegend der Fall ist.

Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen eines Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in seine Überlegungen einzubeziehen (zu vgl. KK-Senge, OWiG, 4. Aufl., § 80 Rn 41). Die wesentlichen der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen dabei in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht das tatsächliche Vorbringen eines Betroffenen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatsachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (vgl. OLG Köln, Beschl. v. 17.7.1998 – Ss 351/98, juris; OLG Köln, Urt. v. 12.4.2002 – Ss 141/02, juris).

Das AG hat den von dem Betroffenen im Hauptverhandlungstermin gestellten Beweisantrag auf Vernehmung und ggf. sachverständige Begutachtung des ebenfalls als Fahrer in Betracht kommenden Bruders (Bl. 79 R, 201 d.A.) pauschal zusammen mit weiteren Beweisanträgen gem. § 77 Abs. 2 S. 1 OWiG zurückgewiesen (Bl. 89, 172 d.A.) und sich dabei auf die gem. § 77 Abs. 3 OWiG zulässige Kurzbegründung beschränkt. In der Urteilsbegründung geht das AG auf den gestellten Beweisantrag und die Gründe für dessen Ablehnung mit keinem Wort ein (Bl. 182 d.A.). Vielmehr ist in den Urteilsgründen ausgeführt, dass Umstände, die gegen die Fahreridentität des Betroffenen sprechen würden, dem Gericht nicht bekannt geworden seien (Bl. 182 d.A.). Zur Identifizierung des Betroffenen stützt sich das AG dabei im Wesentlichen auf ein anthropologisches Sachverständigengutachten des Sachverständigen Dr. H, erwähnt aber nicht, dass das Gutachten unter dem Vorbehalt erstattet worden ist, dass kein naher Blutsverwandter als alternativer Fahrer in Frage kommt (Bl. 82 d.A.), obwohl dem Gutachter Lichtbilder des Bruders des Betroffenen bei der Gutachtenerstattung vorgelegen haben. Der Gutachter sah sich damit offenbar nicht in der Lage, den Bruder des Betroffenen ohne dessen persönliche Inaugenscheinnahme als möglichen Fahrer auszuschließen. Bei dieser Sachlage hätte es sich für das AG Schwelm aufdrängen müssen, den Bruder des Betroffenen als Zeugen zu laden. Die pauschale Ablehnung des Beweisantrages und die Tatsache, dass der entsprechende Vortrag des Betroffenen in den Urteilsgründen keinen Niederschlag gefunden hat, lassen den Schluss zu, dass dieses – nachvollziehbare – Verteidigungsvorbringen des Betroffenen von dem erstinstanzlichen Gericht entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder bei der Entscheidungsfindung zumindest nicht in Erwägung gezogen worden ist. Dies verletzt den Anspruch des Betroffenen auf rechtliches Gehör. Die damit gem. § 79 Abs. 1 S. 2 OWiG zulässige Rechtsbeschwerde ist aufgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs ebenfalls begründet. Da das Urt. bereits aus den dargestellten Gründen aufzuheben ist, bedarf es einer Erörterung der weiteren von dem Betroffenen erhobenen Rügen nicht.’

Diesen zutreffenden Ausführungen schließt sich der Senat nach eigener Prüfung an. Das angefochtene Urt. war daher mit den zugrundeliegenden Feststellungen aufzuheben und an das AG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, zurückzuverweisen. Für die von dem Betroffenen und der Generalstaatsanwaltschaft beantragte Zurückverweisung der Sache an eine andere Abteilung des AG bestand kein Anlass.“

zfs 11/2016, S. 651 - 652

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Deutsches Anwalt Office Premium. Sie wollen mehr?

Anmelden und Beitrag in meinem Produkt lesen


Meistgelesene beiträge