Leitsatz (amtlich)
Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör liegt im Bußgeldverfahren vor, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht das tatsächliche Vorbringen eines Betroffenen entweder nicht zur Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat.
Verfahrensgang
AG Schwelm (Entscheidung vom 03.07.2015) |
Tenor
- Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.
- Das angefochtene Urteil wird mit den zugrundliegenden Feststellungen aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsbeschwerde, an das Amtsgericht Schwelm zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Schwelm hat den Betroffenen mit Urteil vom 03.07.2015 wegen fahrlässiger Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit um 31 km/h - außerorts, nach Abzug der Toleranzen - zu einer Geldbuße von 120,00 Euro verurteilt.
Gegen dieses in Anwesenheit des-Betroffenen und seines Verteidigers verkündete und dem Verteidiger auf Anordnung des Vorsitzenden vom 05.08.2015 am 21.08.2015 zugestellte hat der Betroffene mit dem am 09.07.2015 bei dem Amtsgericht Schwelm eingegangenen (Telefax-)Schreiben seines Verteidigers vom selben Tag die Zulassung der Rechtsbeschwerde beantragt und den Antrag mit dem am 21.09.2015 bei dem Amtsgericht in Schwelm eingegangenen (Telefax-)Schreiben seines Verteidigers vom selben Tag mit der näher ausgeführten Verletzung formellen und materiellen Rechts begründet.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 27.11.2015 beantragt wie erkannt.
II.
Der rechtzeitig angebrachte sowie form- und fristgerecht begründete Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist zulässig und hat in der Sache - zumindest vorläufig - Erfolg.
Die Rechtsbeschwerde war wegen Versagung des rechtlichen Gehörs zuzulassen und das angefochtene Urteil aufzuheben.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat in ihrer Zuschrift vom 27.11.2015.u.a. Folgendes ausgeführt:
"Da das Amtsgericht Schwelm den Betroffenen zu einer Geldbuße von mehr als 100,00 Euro, aber nicht mehr als 250,00 Euro verurteilt hat, ist die Rechtsbeschwerde nur zuzulassen, wenn es geboten ist, die Nachprüfung des Urteils zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zu ermöglichen oder das Urteil wegen Versagung rechtlichen Gehörs aufzuheben (§ 80 Abs. 1 OWiG).
Die Rechtsbeschwerde ist vorliegend wegen der Versagung des rechtlichen Gehörs zuzulassen.
Das Rügevorbringen muss dabei den strengen Anforderungen des § 344 Abs. 2 StPO i.V.m. § 79 Abs. 3 OWiG genügen (zu vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 02.08.2007 - 2 Ss OWI 464/07 - zitiert nach [...]; Göhler, OWiG, 16. Aufl. § 80, Rn. 16d), was vorliegend der Fall ist.
Der Grundsatz des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen eines Betroffenen zur Kenntnis zu nehmen und in seine Überlegungen einzubeziehen (zu vgl. KK-Senge, OWiG, 4. Aufl., § 80, Rn. 41). Die wesentlichen der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienenden Tatsachenbehauptungen müssen dabei in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden. Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör kann festgestellt werden, wenn sich aus den besonderen Umständen des einzelnen Falles deutlich ergibt, dass das Gericht das tatsächliche Vorbringen eines Betroffenen entweder nicht zur-Kenntnis genommen oder bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat. Geht das Gericht auf den wesentlichen Kern des Tatachenvortrags einer Partei zu einer Frage, die für das Verfahren von zentraler Bedeutung ist, in den Entscheidungsgründen nicht ein, so lässt dies auf die Nichtberücksichtigung des Vortrags schließen, sofern er nicht nach dem Rechtsstandpunkt des Gerichts unerheblich oder aber offensichtlich unsubstantiiert war (zu vgl. OLG Köln, Beschluss vom 17.07.1998 Ss 351/98 - zitiert nach [...]; OLG Köln, Urteil vom 12.04.2002 Ss 141/02 -zitiert nach [...]).
Das Amtsgericht hat den von dem Betroffenen im Hauptverhandlungstermin gestellten Beweisantrag auf Vernehmung und ggf. sachverständige Begutachtung des ebenfalls als Fahrer in Betracht kommenden Bruders (BI. 79 R, 201 d.A.) pauschal zusammen mit weiteren Beweisanträgen gern. § 77 Abs. 2 S. 1 OWiG zurückgewiesen (BI. 89, 172 (i.A.) und sich dabei auf die gern. § 77 Abs. 3 OWiG zulässige Kurzbegründung beschränkt. In der Urteilsbegründung geht das Amtsgericht auf den gestellten Beweisantrag und die Gründe für dessen Ablehnung mit keinem Wort ein (BI. 182 d.A.), Vielmehr ist in den Urteilsgründen ausgeführt, dass Umstände, die gegen die Fahreridentität des Betroffenen sprechen würden, dem Gericht nicht bekannt geworden seien (BI. 182 d.A.). Zur Identifizierung des Betroffenen stützt sich das Amtsgericht dabei im Wesentlichen auf ein anthropologisches Sachverständigengutachten des Sachverständige pp., erwähnt aber nicht, dass das Gutachten unter dem Vorbehalt erstattet worden ist, dass kein naher Blutsverwandter als alternativer Fahrer in Frage kommt (BI. 82 d.A.), obwohl d...