Mit deutlichen Worten hat das OLG München der nicht haltbaren Auffassung des BGH in seinem Beschl. v. 25.2.2016, RVGreport 2016, 186 (Hansens) widersprochen, wohingegen andere Gerichte (neulich OLG Hamburg RVGreport 2016, 388 (ders.)) der Auffassung des BGH kritiklos gefolgt sind; im Fall des OLG Hamburg war dies allerdings nicht entscheidungserheblich. Die Gebührenreferenten der Anwaltskammern haben in der 72. Tagung v. 16.4.2016 die Entscheidung des BGH eindeutig als "falsch" angesehen (s. den Bericht über die Tagung von v. Seltmann, RVGreport 2016, 365).

I. Anwendbares Recht

Die Entscheidung des OLG München hat nur den kleinen, hier aber nicht entscheidungserheblichen, Fehler, dass entgegen der Auffassung des OLG die von ihm herangezogene Bestimmung des § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht anwendbar war, weil es sich vorliegend um ein Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 51 FamFG in einer Kindschaftssache nach § 151 Nr. 1 FamFG gehandelt hat. Für die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung gelten gem. § 51 Abs. 4 FamFG die allgemeinen Vorschriften, mithin die Bestimmung des § 80 FamFG. Dabei trifft das FamFG keine Aussage, unter welchen Voraussetzungen die Aufwendungen des erstattungsberechtigten Beteiligten erstattungsfähig sind. § 80 Abs. 1 S. 2 FamFG verweist lediglich auf die entsprechende Anwendung des § 91 Abs. 1 S. 2 ZPO, der den Aufwand für notwendige Reisen oder die Terminswahrnehmung regelt. Selbst wenn somit § 80 FamFG nicht auf die Bestimmung des § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO verweist, kann diese Regelung nach allgemeiner Auffassung zur Auslegung der Notwendigkeit herangezogen werden (Kemper/N. Schneider, Familienverfahrensrecht, 3. Aufl., § 80 FamFG Rn 35; Zöller/Feskorn, ZPO, 31. Aufl., § 80 FamFG Rn 3 und 4). Mangels einer Verweisung auf § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO sind jedoch – anders als in reinen ZPO-Verfahren – Anwaltskosten nicht in jedem Fall erstattungsfähig (Zöller/Feskorn a.a.O. Rn 4).

Im Fall des BGH war allerdings die Bestimmung des § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO direkt anwendbar, ohne dass der BGH diese Vorschrift erwähnt oder gar angewandt hätte.

II. Abweichende Auffassung des BAG

Geradezu peinlich ist es, dass der BGH in seinem Beschl. v. 25.2.2016 nicht die gegenteilige Auffassung des BAG RVGreport 2012, 350 (Hansens) = AGS 2013, 98 zitiert, geschweige denn sich mit ihr auseinandergesetzt hatte. Hierfür kann es eigentlich nur zwei Erklärungen geben: Entweder hat der betreffende Kollege des III. ZS des BGH diese in mehreren Fachzeitschriften und auch in der Datenbank "juris" leicht auffindbare Entscheidung nicht gefunden, was nicht für eine sorgfältige Arbeitsweise sprechen würde. Oder der Berichterstatter des Senats hat die Entscheidung des BAG bewusst nicht aufgeführt, um dem Senat eine Vorlage der Sache gem. Art. 95 Abs. 3 GG i.V.m. § 11 Abs. 1 des Gesetzes zur Wahrung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung der Obersten Gerichtshöfe des Bundes an den Gemeinsamen Senat der Obersten Gerichtshöfe des Bundes zu ersparen. Keine der beiden Versionen wirft ein gutes Bild auf die Arbeitsweise des Senats in dieser Sache.

III. Nachfragen beim Gericht

Die Argumentation des III. ZS des BGH, die erstattungsberechtigte Partei könne durch eine ggf. telefonische Nachfrage bei Gericht rasch und problemlos klären, ob das gegnerische Rechtsmittel – oder hier der Antrag – bereits zurückgenommen ist, ist völlig praxisfremd (siehe hierzu Hansens, BRAK-Mitt. 2016, 140, 145). Die Gerichte sind angesichts der dünnen Personaldecke gar nicht darauf eingerichtet, in jedem Verfahren einen oder gar mehrere Anrufe von Anwälten zum Vorliegen von Rücknahmeschriftsätzen zu beantworten. So manches Gericht ist ohnehin nur per Anrufbeantworter telefonisch erreichbar. Zutreffend weist das OLG München darauf hin, dass an sich die Partei selbst einen entsprechenden Anruf beim Gericht tätigen müsste, bevor sie überhaupt ihren Anwalt mit der Prozessvertretung beauftragt und damit die – ermäßigte – Verfahrensgebühr auslöst. Denn auch diese Gebühr wäre nach der Auffassung des III. ZS des BGH dann nicht erstattungsfähig, wenn dem Prozessgericht zum Zeitpunkt der Auftragserteilung bereits der Klagerücknahmeschriftsatz vorliegt.

Dies gilt natürlich ebenso für die durch das Einreichen einer Schutzschrift anfallenden Kosten (s. hierzu etwa OLG Hamburg RVGreport 2016, 388 (Hansens)), die nach Auffassung des I. ZS des BGH RVGreport 2007, 348 im Falle der kurz zuvor erfolgten Rücknahme des Verfügungsantrags auch dann nicht erstattungsfähig sein sollen, wenn der Gegenanwalt und sein Mandant von der Rücknahme keine Kenntnis hatten. Soll dann in einer presserechtlichen Angelegenheit der AG, der noch keine Kenntnis vom Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung hat und damit auch das mit dem Antrag befasste Gericht nicht kennt, bei allen deutschen Landgerichten nachfragen, bevor er seinen Rechtsanwalt mit der Fertigung und Einreichung der Schutzschrift beim Zentralen Schutzschriftenregister in Frankfurt beauftragt? Dies belegt, wie weit...

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