Unter welchen Voraussetzungen der Wartepflichtige sich auf ein Blinksignal des Vorfahrtberechtigten verlassen darf, wird nicht einheitlich beantwortet.[3] Während einerseits vertreten wird, dass der Wartepflichtige im Grundsatz darauf vertrauen darf, dass jemand, der rechts blinkt, auch abbiegt, solange nicht konkrete Anhaltspunkte vorliegen, die dagegen sprechen,[4] vertritt die Gegenmeinung die Auffassung, dass der Wartepflichtige nur darauf vertrauen darf, dass der rechts blinkende Vorfahrtberechtigte auch tatsächlich rechts abbiegt, wenn sich dies aus einer Gesamtschau der Fahrsituation ergibt, etwa indem der Blinkende seine Geschwindigkeit verringert[5] oder beginnt, tatsächlich abzubiegen.[6] Weitere Indizien können sein: Einordnen nach rechts, Schrägstellung des Fahrzeugs.[7]

Letztere Meinung wird vor allem damit begründet, dass den Wartepflichtigen eine gesteigerte Sorgfaltspflicht trifft.[8] Diese gesteigerte Sorgfaltspflicht bedinge es, dass der Wartepflichtige mit einem verkehrswidrigen Verhalten des Vorfahrtberechtigten rechnen müsse. Er könne sich auf den Vertrauensgrundsatz nur eingeschränkt berufen und dürfe i.d.R. nur auf das Unterbleiben atypischer, grober Verstöße des Vorfahrberechtigten vertrauen. Ein solcher grober Verkehrsverstoß könne dem falsch blinkenden Fahrer nicht vorgeworfen werden: Es sei kein allzu seltener Fall, dass das Rückstellen des Fahrtrichtungsanzeigers – entweder aufgrund eines technischen Defekts oder aufgrund einer Unaufmerksamkeit – unterbleibe. Auch müsse der Wartepflichtige durchaus in Betracht ziehen, dass ein Vorfahrtberechtigter mit den örtlichen Verhältnissen nicht vertraut sei. Insofern liege die Möglichkeit nicht fern, dass der bevorrechtigte Verkehr kurz vor dem Abbiegen erkenne, dass es sich um die falsche Einmündung handele und sein vorheriges Verhalten entsprechend korrigiere.

Nach dem OLG Hamm[9] sind für die Begründung eines Vertrauenstatbestandes sehr strenge Anforderungen zu stellen. Den Wartepflichtigen treffe eine gesteigerte Sorgfaltspflicht. Von ihm werde verlangt, dass er mit Misstrauen an die Vorfahrtstraße heranfahre und im Zweifel warte. Diese gesteigerte Sorgfaltspflicht bringe es mit sich, dass er mit verkehrswidrigem Verhalten des Vorfahrtberechtigten rechnen müsse und sich daher auf den Vertrauensgrundsatz nur eingeschränkt berufen könne. Der moderne Massenverkehr sei gerade bei der Ordnung des Vorranges im fließenden Verkehr zur Vermeidung von Kollisionen auf klare und eindeutige Regelungen angewiesen. Dieses praktische Sicherheitsbedürfnis lasse Ausnahmen von der gesetzlich geregelten Wartepflicht keinesfalls großzügig, sondern nur unter engen und klar bestimmten Voraussetzungen zu.

[3] OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.3.2008 – 4 U 228/07 – RuS 2008, 346, auch zum Folgenden.
[4] So z.B. KG Berlin, Urt. v. 23.9.1974 – 12 U 694/74 – DAR 1975, 41 und KG Berlin, Urt. vom 25.9.1989 – 12 U 4646/88 – NZV 1990, 155.
[5] Nach OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.11.2000 – 10 U 155/00 – DAR 2001, 128 genügt u.U. auch eine gleich bleibend geringe Geschwindigkeit.
[6] LG Saarbrücken, Urt. v. 7.6.2013 – 13 S 34/13 – NZV 2014, 235.
[7] Nach OLG Karlsruhe, Urt. v. 24.11.2000 – 10 U 155/00 – DAR 2001, 128 genügt u.U. auch eine gleich bleibend geringe Geschwindigkeit.
[8] OLG Saarbrücken, Urt. v. 11.3.2008 – 4 U 228/07 – RuS 2008, 346, auch zum Folgenden.

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