II. Der zulässige Antrag auf Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist zulässig und begründet.

Die Rechtsbeschwerdebegründung wurde noch fristgerecht abgegeben. Nach Zustellung des amtsgerichtlichen Urteils an den Betroffenen am 30.8.2019 hätte die Rechtsbeschwerdebegründung gem. §§ 79 Abs. 3 OWiG, 345 Abs. 1 StPO an sich bis zum 30.9.2019 abgegeben werden müssen. Allerdings wurde die Rechtsbeschwerdebegründungsfrist durch die Zustellung an den Verteidiger am 2.9.2019 erneut in Gang gesetzt. Von mehreren wirksamen Zustellungen ist nach § 37 Abs. 2 StPO nur die spätere für die Fristberechnung maßgebend, sofern die Frist zur Rechtsmitteleinlegung zum Zeitpunkt der zweiten Zustellung nicht bereits versäumt war (OLG Hamm, Beschl. v. 7.2.2013 – III-1 Ws 49/13 – juris; OLG Hamm, Beschl. v. 10.5.2016 – III-4 Ws 114/16 – juris). Im vorliegenden Fall ist die Zustellung an den Verteidiger am 2.9.2019 ebenfalls als wirksame Zustellung anzusehen. Die Wirksamkeit einer förmlichen Zustellung setzt voraus, dass sie auf einer (wirksamen) Zustellungsanordnung des Vorsitzenden beruht (vgl. BGH, Beschl. v. 6.3.2014 – 4 stR 553/13 – juris), eine lediglich auf Veranlassung der Geschäftsstelle vorgenommene Zustellung ist hingegen unwirksam (vgl. OLG Celle, Beschl. v. 18.8.1976 – 1 Ss 177/76 – juris). Hier ist von einer wirksamen Zustellungsanordnung des Vorsitzenden (auch) bzgl. einer Zustellung an den Verteidiger auszugehen.

Zuzugeben ist der Generalstaatsanwaltschaft, dass die Begleitverfügung des Vorsitzenden zum schriftlichen Urteil darauf hindeuten könnte, dass eine Zustellung allein an den Betroffenen erfolgen sollte, nicht aber an den Verteidiger. Für diese Ansicht könnte sprechen, dass er angeordnet hat, dass in dem Begleitschreiben an den Verteidiger mitgeteilt werde: "Bitte reichen Sie eine Vollmacht zur Akte. Die Zustellung des Urteils erfolgt an den Betroffenen." Dieser Zusatz könnte darauf hindeuten, dass der Vorsitzende nach § 145a Abs. 3 S. 2 StPO vorgehen wollte. Andererseits hat er aber – entgegen § 145a Abs. 3 S. 2 StPO – dem Verteidiger nicht lediglich von der Zustellung an den Betroffenen unterrichtet und ihm formlos eine Abschrift der Entscheidung übersandt, sondern ihm eine Ausfertigung der Entscheidung gegen Empfangsbekenntnis zukommen lassen. Letzteres deutet auf einen Zustellungswillen auch bzgl. des Verteidigers hin, denn dadurch wurde eine Ausfertigung einer Entscheidung in der gesetzlich vorgeschriebenen Form (§ 174 ZPO i.V.m. § 37 Abs. 1 StPO) an den Verteidiger vorgenommen (vgl. hierzu: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 62. Aufl., § 35 Rn 10; § 37 Rn 1). Die Zustellung an den Verteidiger ist nicht ohne oder gegen den Willen des Vorsitzenden allein durch die Geschäftsstelle veranlasst worden. Es würde aber den Grundsätzen eines fairen Verfahrens widersprechen, wollte man im Falle einer solchen widersprüchlichen Verfügungslage die dem Betroffenen ungünstigere Auslegung wählen. Dementsprechend war die am 2.1.2019 beim Amtsgericht eingegangene Rechtsbeschwerdebegründung noch rechtzeitig.

III. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist damit zulässig, aber unbegründet.

Dem Vorbringen der Rechtsbeschwerdebegründung lässt sich in der Gesamtschau noch hinreichend die Rüge der Verletzung materiellen Rechts entnehmen.

Der Senat ist nicht gehindert, über das Rechtsmittel zu entscheiden. Nur wenn der Antrag gemäß §§ 80 Abs. 4 Satz 2 OWiG, 346 Abs. 1 StPO wegen Versäumung der Frist zur Einlegung des Rechtsmittels verworfen wurde, beginnt – abweichend von § 345 Abs. 1 StPO – erst mit der Bekanntmachung der Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts gemäß § 346 Abs. 2 StPO die Frist zur Begründung des Rechts-mittels zu laufen (OLG Karlsruhe, Beschl. v. 06.2.2017 – 2 (6) SsRs 723/16 –, Rn 17 – 19, juris). Der dafür maßgebliche Grund, dass dem Beschwerdeführer nicht zugemutet werden kann, ein als unzulässig verworfenes Rechtsmittel vorsorglich zu begründen, trifft indes im vorliegenden Fall nicht zu.

Da der Betroffene vorliegend nur zu einer Geldbuße von 108 EUR verurteilt wurde, ist die Rechtsbeschwerde nur bei einer Verletzung des rechtlichen Gehörs, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen (§ 80 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 Nr. 1 OWiG). Die Verletzung rechtlichen Gehörs ist vom Betroffenen nicht behauptet worden; die weiteren Zulassungsgründe liegen nicht vor.

zfs 9/2021, S. 532 - 533

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