Entscheidungsstichwort (Thema)

Sicherungsverwahrung. späterer Beginn der Unterbringung. Prüfungsmaßstab. Maßregelaussetzung zur Bewährung. strafvollzugsbegleitender Rechtsschutz. Betreuung. Verhältnis der Verfahren nach § 119a StVollzG und § 67c StGB

 

Leitsatz (amtlich)

1. Das Verfahren nach § 119a StVollzG ist nicht vorrangig gegenüber einer Entscheidung nach § 67c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB, etwa in dem Sinne, dass bevor eine Entscheidung über die Verhältnismäßigkeit der Maßregelvollstreckung nach § 67c Abs. 1 S. 1 Nr. 2 StGB getroffen werde könnte, erst die noch zu treffenden Entscheidungen periodischen Entscheidungen nach § 119a Abs. 1 StVollzG abgewartet werden müssten (oder gar deren Rechtskraft).

2. Während § 67d Abs. 2 StGB für die Maßregelaussetzung zur Bewährung eine günstige Legalprognose voraussetzt, verlangt § 67c Abs. 1 Nr. 1 StGB für die Anordnung der Vollstreckung der Maßregel (Nichtaussetzung) die erneute Erstellung bzw. Aufrechterhaltung einer ungünstigen Prognose.

3. Es ist zweifelhaft, ob es im Verfahren nach §§ 463 Abs. 3 S. 3; 454 Abs. 2 StPO in jedem Fall der Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens bedarf. Der Senat neigt der Auffassung zu, dass grds. auch eine rein mündliche Anhörung des Sachverständigen ausreichen kann.

4. Unter einer Entscheidung "über die Zulässigkeit der weiteren Vollstreckung" i.S.v. § 121 Abs. 2 Nr. 3 GVG ist keine Entscheidung über die Maßregelaussetzung zur Bewährung zu verstehen.

5. Zum Fristablauf der Rechtsmittelfrist bei Mehrfachzustellungen.

 

Normenkette

StPO § 463 Abs. 3, §§ 454, 311, 37 Abs. 2; StGB §§ 67c, 67d Abs. 2; StVollzG § 119a; StGB § 66c

 

Verfahrensgang

LG Bochum (Aktenzeichen IV- StVK 169/15)

 

Tenor

Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Behandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Beschwerdeverfahren - an die Strafvollstreckungskammer bei dem Landgericht Bochum zurückverwiesen.

 

Gründe

I.

Der Verurteilte wendet sich mit seinem Rechtsmittel gegen die in dem angefochtenen Beschluss ausgesprochene Ablehnung der bedingten Entlassung aus dem Vollzug der Sicherungsverwahrung nach § 67d Abs. 2 StGB und die gleichzeitige Anordnung des Vollzugs dieser Maßregel nach § 67c Abs. 1 StGB.

Bis zum 17.01.2016 verbüßte der Verurteilte eine Gesamtfreiheitsstrafe von 12 Jahren, welche mit Gesamtstrafenbeschluss des Landgerichts Kleve vom 11.05.2007 aus den (Gesamt-) Freiheitsstrafen aus den Urteilen des Landgerichts Kleve vom 15.11.2004 wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und des Landgerichts Kleve vom 17.12.2004 wegen Vergewaltigung in einem besonders schweren Fall, wegen Vergewaltigung in zwei weiteren Fällen sowie wegen Bedrohung gebildet wurden. In dem letztgenannten Urteil wurde die Sicherungsverwahrung vorbehalten. Der Vorbehalt wurde in dem Gesamtstrafenbeschluss aufrechterhalten. Aufgrund des Vorbehalts hat das Landgericht Kleve mit Urteil vom 07.07.2011 gegen den Verurteilten die Sicherungsverwahrung angeordnet, deren Vollstreckung im Anschluss an die Vollstreckung der Freiheitsstrafe notiert ist.

In dem Urteil des Landgerichts Kleve vom 07.11.2011 wurde festgestellt, dass bei dem Verurteilten eine antisoziale Persönlichkeitsstörung mit nicht unerheblichen narzistischen Zügen bestehe. Zurückliegend habe eine Alkoholabhängigkeit bestanden, welche sich aber aufgrund einer früheren Behandlung bereits vor der seinerzeitigen Inhaftierung soweit gebessert habe, dass dem Verurteilten ein gewisses kontrolliertes Trinken möglich gewesen sei, ohne die Merkmale eines abhängigen Trinkens zu zeigen. Bzgl. der Gefährlichkeit des Verurteilten führt das Landgericht aus, dass in Anbetracht der Persönlichkeitsstörung, der Impulsivität und der Neigung des Verurteilten zu Alkoholkonsum die Gefahr bestehe, dass er wieder erhebliche Straftaten begehe. Das Risiko für neue Gewaltdelikte sei "sehr hoch", für "sexuell getönte Delikte" "hoch".

Die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Bochum hat zunächst ein Gutachten zur Frage des § 119a Abs. 1 Nr. 1 StVollzG beauftragt, welches der Sachverständige Dr. T unter dem Datum des 20.10.2015 verfasst hat. Sodann beschloss die Strafvollstreckungskammer am 17.12.2015 angesichts des bevorstehenden Endstrafentermins, dass die Prüfung nach § 119a Abs. 1 Nr. 1 StVollzG zusammen mit der nach § 67c Abs. 1 StGB erfolgen solle. Ein gesondertes Gutachten nach § 463 Abs. 3 S. 3 StPO holte die Strafvollstreckungskammer in schriftlicher Form nicht ein. Wohl aber fand am 12.01.2016 eine mündliche Anhörung des Verurteilten und des Sachverständigen statt. Im Rahmen dieser Anhörung äußerte sich der Sachverständige auch zur Legalprognose bzgl. des Verurteilten. Er erklärte, dass er das Risiko eines Rückfalls hinsichtlich des Tötungsdelikts "nicht bei Null" sehe. Die bei dem Verurteilten bestehenden Defizite seien noch nicht beseitigt. Es sei eine tiefergehende Analyse, insbesondere der Sexualdelinquenz zu verlangen.

In dem angefochtenen Beschluss führt die Strafvollstrec...

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