… Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein weitergehender Anspruch auf Zahlung einer Invaliditätsentschädigung gemäß § 1 Satz 1, § 178 Abs. 1 VVG in Verbindung mit Ziffer 2.1 AUB 2000 zu.

A. Die Klage ist dahingehend auszulegen, dass der Kläger im Hinblick auf die unterbliebene Berücksichtigung seiner psychischen Erkrankung die Erstbemessung der Beklagten in deren Schreiben vom 19.12.2014 angreift und eine Abänderung dieses Leistungsbescheids begehrt. Im Hinblick auf die von der Beklagten akzeptierte Bewertung der unfallbedingten Hörminderung mit Tinnitus begehrt der Kläger demgegenüber eine Neubemessung.

In der Unfallversicherung stehen dem Versicherungsnehmer im Rahmen der Geltendmachung von Invaliditätsansprüchen gegen den Versicherer grundsätzlich zwei Wege zur Verfügung.

Einerseits kann der Versicherungsnehmer die Erstfeststellung seiner Invalidität angreifen und versuchen, eine seiner Auffassung nach unzutreffende Erstfeststellung durch den Versicherer im Klagewege abzuändern (vgl. BGH zfs 2009, 461).

Der Kläger kann aber auch die Neubemessung einer vom Versicherer bereits anerkannten Invalidität verlangen. Grundlage eines solchen Neubemessungsverlangens sind Veränderungen im Gesundheitszustand des Versicherungsnehmers gegenüber demjenigen Zustand, der der Erstbemessung zugrunde liegt. Im Neubemessungsverfahren ist daher grundsätzlich nur der vom Versicherer ursprünglich festgestellten Invaliditätsgrad zu überprüfen (BGH zfs 2009, 461).

Im vorliegenden Fall beanstandet der Kläger nicht lediglich die Bewertung seines Dauerschadens durch die Beklagte in deren Schreiben vom 19.12.2014.

Er macht vielmehr einen zusätzlichen und von der Beklagten bei der Erstbemessung nicht berücksichtigten Dauerschaden in Gestalt einer psychischen Erkrankung geltend.

Weil aber ein vom Versicherer im Rahmen der Erstbemessung nicht berücksichtigter Dauerschaden nicht Gegenstand der Neubemessung sein kann (…), ist das Begehren des Klägers im Hinblick auf seine psychische Erkrankung interessengerecht dahingehend auszulegen, dass dieser die Erstbemessung der Beklagten angreift.

Auch im Hinblick auf die Bewertung seiner Hörminderung mit Tinnitus greift der Kläger die Erstbemessung der Beklagten an. Zwar hat sich der Kläger in seinem Schriftsatz vom 20.3.2017 auf das Attest des behandelnden Arztes W. bezogen und ausgeführt, dass der (von der Beklagten in ihrer Erstbemessung anerkannte) Invaliditätsgrad von bisher 19,8 % aufgrund der Verschlechterung der Beschwerden deutlich höher bewertet werden müsse. Mit Schriftsatz vom 12.8.2019 hat der Kläger allerdings abweichend vorgetragen, dass die von der Beklagten festgestellte Invaliditätsleistung zu keinem Zeitpunkt einer Invalidität von nur 19,8 % entsprochen habe. Ergänzend hat er unter Bezugnahme auf ein Attest von Herrn W. vorgetragen, dass die Audiometriebefunde von 2015 bis 2019 konstante Hörkurvenverläufe gezeigt hätten und dass sich die mittel- bis hochgradige Innenohrschwerhörigkeit von 2015 bis 2019 nicht verschlechtert habe. Schließlich hat der Kläger mit Schriftsatz vom 2.9.2019 klargestellt, dass sich die Klage gegen die Erstbemessung der Beklagten richtet.

B. Die auf Abänderung des Erstbemessungsbescheids gerichtete Klage ist allerdings unbegründet.

1. Der Versicherungsfall im Sinne von Ziffer 1.1 AUB 2000 ist unstreitig eingetreten. Danach bietet der Versicherer Versicherungsschutz für Unfälle, die der Versicherungsnehmer erleidet.

Ein Unfall liegt gemäß Ziffer 1.3 AUB 2000 vor, wenn der Versicherungsnehmer durch ein plötzlich von außen auf ihn wirkendes Ereignis unfreiwillig eine Gesundheitsschädigung erleidet. Unstreitig erlitt der Kläger durch die Zündung eines Feuerwerkskörpers ein Knalltrauma und in der Folge jedenfalls auch eine Hörminderung mit Tinnitus. Ein solches Geschehen begründet einen Versicherungsfall im Sinne der Versicherungsbedingungen (vgl. OLG Koblenz, NJOZ 2005, 3445),

2. Zutreffend ist das LG allerdings zu dem Ergebnis gekommen, dass der Kläger nicht hinsichtlich aller von ihm behaupteter Dauerschäden die weiteren Anspruchsvoraussetzungen wahrte.

Gemäß Ziffer 2.1.1 Nr. 1 AUB 2000 in Verbindung mit Ziffer 5 BW Unfallschutz Comfort ist weitere Voraussetzung für einen Leistungsanspruch, dass die Invalidität

innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten ist und
innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und
innerhalb von 18 Monaten nach dem Unfall vom Versicherungsnehmer beim Versicherer geltend gemacht wird.

a) Eintritt der Invalidität innerhalb eines Jahres nach dem Unfall bedeutet, dass die beim Unfallereignis erlittene Gesundheitsschädigung innerhalb dieses Zeitraumes den Charakter einer Dauerschädigung erreicht haben muss. Gemäß § 180 Satz 2 VVG ist eine Beeinträchtigung dauerhaft, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung dieses Zustandes nicht erwartet werden kann. Die Beurteilung des Invaliditätseintritts erfordert regelmäßig eine Prognoseentscheidung in Bezug auf den weitere...

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