OWiG § 67 § 70, StPO § 300

Leitsatz

1. Stellt eine Erklärung des Betroffenen von ihrem Inhalt her überhaupt keinen Einspruch dar, unterfällt dies der Rechtsschutzmöglichkeit nach § 70 Abs. 1 OWiG.

2. Besteht kein Zweifel daran, dass der Betroffene eine Entscheidung anfechten will, soll er keinen Nachteil daraus erleiden, dass er sein Rechtsmittel nicht richtig oder gar nicht bezeichnet. Voraussetzung für eine Auslegung des nicht oder irrtümlicherweise falsch bezeichneten Rechtsmittels ist jedoch ein Anfechtungswille. (Leitsatz der Redaktion)

AG Hamburg, Beschl. v. 8.9.2022 – 248a OWi 310/22

1 Sachverhalt

Der Betroffene parkte mit seinem Fahrzeug auf dem Mittelstreifen (gepflastert, mittels Bordstein erhöht) der B Straße. Es erging am 1.8.2022 ein Bußgeldbescheid über eine Geldbuße von EUR 25. Mit Schreiben vom 10.8.2022 erklärte der Betroffene seine "Zurückweisung". Im Briefkopf seines Schreibens bezeichnet er sich als "Mensch mit Natürlicher Person entspr. § 1 des staatlichen BGB, Stand 1896". Das AG Hamburg hat die "Zurückweisung" des Betroffenen auf seine Kosten als unzulässig verworfen.

2 Aus den Gründen:

[…] II. 1. Die "Zurückweisung" war als unzulässig zu verwerfen nach § 70 Abs. 1 OWiG. Danach verwirft das Gericht den Einspruch als unzulässig, wenn die Vorschriften über die Einlegung des Einspruchs nicht beachtet sind. Vorliegend war die im Schreiben des Betroffenen vom 10.8.2022 enthaltene Erklärung nicht als Einspruch auszulegen. Dieser Fall, dass eine Erklärung des Betroffenen von ihrem Inhalt her überhaupt keinen Einspruch darstellt, fällt unter § 70 Abs. 1 OWiG. Die Alternative wäre, dass die Verwaltungsbehörde sofort ins Vollstreckungsverfahren überginge und der Betroffene gegen die Vollstreckung Rechtsschutz suchen müsste. Wenn man den vorstehend skizzierten Fall jedoch unter § 70 Abs. 1 OWiG fasst, wird dem Betroffener ein umfassender Rechtsschutz ermöglicht. Über die sofortige Beschwerde (vgl. § 70 Abs. 2 OWiG) kann der Betroffenen noch vor dem Vollstreckungsverfahren klären, ob er überhaupt Einspruch eingelegt hat.

§ 67 Abs. 1 S. 2 OWiG i.V.m. § 300 StPO, wonach ein Irrtum in der Bezeichnung des zulässigen Rechtsmittels unschädlich ist, gebietet keine Auslegung des Schreibens als Einspruch. Diese Vorschrift soll bezwecken, dass es nicht auf das gebrauchte Wort ankommen soll, sondern darauf, was der Rechtsmittelführer will. Besteht kein Zweifel daran, dass er eine Entscheidung anfechten will, soll er keinen Nachteil daraus erleiden, dass er sein Rechtsmittel nicht richtig oder gar nicht bezeichnet. Voraussetzung für eine Auslegung des nicht oder irrtümlicherweise falsch bezeichneten Rechtsmittels ist jedoch ein Anfechtungswille. Dieser muss aus der Erklärung deutlich hervorgehen. Die bloße Mitteilung, mit der Entscheidung nicht zufrieden zu sein, ist keine Anfechtungserklärung (KK-StPO/Paul, § 300, Rn 1 f.).

Der Betroffene hat das Bußgeldverfahren als Privatrechtsverhältnis zwischen der Stadt Hamburg und sich selbst eingeordnet. Der Bußgeldbescheid sei eine "Täuschung", "aufgrund fehlender Unterschrift ein Entwurf", "ungültig" und ein "Angebotsschreiben". Er verlangte u.a. "eine notarielle Gründungsurkunde des Staates, auf den Sie Ihre Vereidigung begründen." und setzte hierfür eine Frist. Bei Fristüberschreitung kündigte er an, davon auszugehen "daß Sie selbst privat- und vertragsrechtlich und Ihre Firma etc. nach Firmen- und Vertragsrecht als Unternehmen … handeln". Es folgte weiterer Sermon dieser Art. Abschließend wurde der Behörde mitgeteilt, das Angebot zurückzuerhalten; dem Schreiben war der Bußgeldbescheid beigefügt.

Der Betroffene drückt durch sein Schreiben zum einen seine Missachtung gegenüber dem Rechtsstaat sowie dessen Institutionen aus und versucht beiden die Legitimität abzusprechen; derart verquere Äußerungen sind als von der Meinungsfreiheit gedeckt in einer Demokratie zwar auszuhalten. Entscheidend ist aber, dass er durch die Einstufung des Bußgeldverfahrens als privatrechtlich dem Staat das Gewaltmonopol abspricht. Der Betroffene meint, die Ahndung seines Verhaltens sei von seiner Mitwirkung abhängig; der Staat könne ihm gegen seinen Willen gar kein Bußgeld auferlegen. Daraus zieht das Gericht den Schluss, dass der Betroffenen bei den Gerichten gar keinen Rechtsschutz ersucht. Denn nach seiner Logik bedarf es eines solchen nicht; er habe den Bußgeldbescheid ja nicht angenommen, sodass dieser ihn gar nicht belaste.

Dass diese Rechtsansicht nicht bloß abwegig, sondern schlicht falsch ist, führt nicht dazu, das Schreiben des Betroffenen als Einspruch auszulegen. Der wehrhafte Rechtsstaat ist nicht gehalten, seinen Gegnern den roten Teppich auszulegen und jede Injurie auch noch durch die Bühne eines Gerichtsprozesses zu belohnen, wenn es dem Betroffenen gar nicht um die Sache geht, sondern allein um die Verächtlichmachung des Rechtsstaates. Wer als Gegner der Verfassung, die Gerichte in Anspruch nehmen möchte, muss sich zumindest an die Mindestanforderungen halten, die die jeweilige Verfahrensordnung hierfür aufstellt.

2. Ledi...

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