[18] II. Die zulässige Berufung hat in der Sache teilweise Erfolg. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.

[19] Das Landgericht ist zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte zu 1 als Halter des unfallbeteiligten Pkw2 nicht schon deshalb gem. § 7 Abs. 1 StVG zu 100 % für die Folgen der Kollision einzustehen hat, weil der Unfall für den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs unabwendbar i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG gewesen wäre, wie der Kläger meint. Der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs hätte selbst dann nicht gem. § 17 Abs. 3 S. 2 StVG jede nach den Umständen des Falles gebotene Sorgfalt beachtet, wenn der Beklagte zu 1 mit dem Einfahren in die vom Klägerfahrzeug befahrene Fahrgasse gegen § 10 S. 1 StVO verstoßen hätte. Ein Bevorrechtigter, der davon ausgehen muss, dass sein Vorrecht von anderen Verkehrsteilnehmern aufgrund der örtlichen Gegebenheiten möglicherweise nicht erkannt wird, ist zu besonderer Vorsicht und Rücksichtnahme verpflichtet; er muss damit rechnen, dass sein Vorrecht missachtet wird und muss seine Fahrweise darauf einstellen (vgl. BGH, Urt. v. 20.11.2007 – VI ZR 8/07, Rn.16, juris). Dies hat der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs nicht getan, obwohl dazu angesichts der besonderen Umstände des Parkplatzverkehrs Anlass bestand. Auf Parkplätzen muss damit gerechnet werden, dass die Aufmerksamkeit der Fahrzeugführer von der Suche nach einem freien oder geeigneten Einstellplatz besonders beansprucht ist. Das verlangt eine besondere Rücksichtnahme aller Beteiligten aufeinander (BGH, Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15, Rn.15, juris). Deshalb muss auch ein Bevorrechtigter auf einem derartigen Parkplatz mit erhöhter Vorsicht fahren und den wartpflichtigen Verkehr beobachten (OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.3.2017 – I-1 U 97/16, Rn 48, juris; OLG Frankfurt, Urt. v. 8.9.2009 – 14 U 45/09, Rn 13, juris; OLG Köln, Urt. v. 8.12.1994 – 18 U 117/94, Rn 9, juris; OLG Hamm, Urt. v. 6.10.1993 – 13 U 91/93, Rn 4, juris; OLG Nürnberg, Urt. v. 29.4.1977 – 1 U 175/76, Rn 32, juris).

[20] Das Landgericht hat daher zu Recht angenommen, dass die Regelung des § 17 Abs. 1 StVG anwendbar ist. Nach § 17 Abs. 1StVG bestimmt sich im Verhältnis der Fahrzeughalter der Umfang des zu leistenden Ersatzes nach den Umständen, und zwar insbesondere danach, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Bei der danach vorzunehmenden Abwägung kommt es maßgeblich darauf an, ob die Betriebsgefahr der unfallbeteiligten Fahrzeuge durch besondere Umstände, etwa wegen einer fehlerhaften oder verkehrswidrigen Fahrweise der Fahrzeugführer, erhöht war (BGH, Urt. v. 27.6.2000 – VI ZR 126/99, Rn 23, juris).

[21] Soweit das Landgericht im Rahmen der Abwägung zulasten des Klägers davon ausgegangen ist, dass der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs das Vorfahrtsrecht des Beklagten zu 1 verletzt hat, vermag sich der Senat dieser Beurteilung nicht anzuschließen.

[22] Der Beklagte zu 1 durfte kein Vorfahrtsrecht nach § 8 Abs. 1 S. 1 StVO für sich in Anspruch nehmen. Zwar sind die Regeln der Straßenverkehrsordnung auf öffentlich zugänglichen Privatparkplätzen wie dem hier streitgegenständlichen Parkplatz grundsätzlich anwendbar (BGH, Urt. v. 15.12.2015 – VI ZR 6/15, Rn 11, juris), und zwar unabhängig davon, ob der Eigentümer der Parkfläche die Geltung der StVO durch eine Beschilderung ausdrücklich angeordnet hat (OLG München, Urt. v. 27.5.2020 – 10 U 6767/19, Rn 4, juris). Fahrgassen auf Parkplätzen sind jedoch grundsätzlich keine dem fließenden Verkehr dienenden Straßen und gewähren deshalb keine Vorfahrt (OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.3.2017 – I-1 U 97/16, Rn 51, juris). Kreuzen sich zwei dem Parkplatzsuchverkehr dienende Fahrgassen eines Parkplatzes bzw. eines Parkhauses, gilt für die herannahenden Fahrzeugführer das Prinzip der gegenseitigen Rücksichtnahme (§ 1StVO), d.h. jeder Fahrzeugführer ist verpflichtet, defensiv zu fahren und die Verständigung mit dem jeweils anderen Fahrzeugführer zu suchen (OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.3.2017 – I-1 U 97/16, Rn 48, juris; KG Berlin, Beschl. v. 12.10.2009 – 12 U 233/08, Rn 7, juris). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die angelegten Fahrspuren eindeutig und unmissverständlich Straßencharakter haben und sich bereits aus ihrer baulichen Anlage ergibt, dass sie nicht der Suche von freien Parkplätzen dienen, sondern der Zu- und Abfahrt der Fahrzeuge (OLG München, Urt. v. 27.5.2020 – 10 U 6767/19, Rn 5, juris; KG Berlin, Beschl. v. 9.7.2018 – 25 U 159/17, Rn 4, juris; OLG Köln, Beschl. v. 10.12.1974 – Ss 167/74, juris; OLG Oldenburg, Urt. v. 26.3.1982 – 11 U 74/81, beck-online; für eine analoge Anwendung des § 8 StVO für Fahrgassen mit Straßencharakter: OLG Düsseldorf, Urt. v. 7.3.2017 – I-1 U 97/16, Rn 52, juris). Für den Straßencharakter können eine für den Begegnungsverkehr ausreichende Breite der Fahrgassen (OLG Frankfurt, Urt. v. 8.9.2009 – 14 U 45/09, Rn 14, juris) und andere leicht fassbare bauliche Merkmale einer Straße wie Bürgersteige, Randstreifen oder Gräben sprechen (OLG K...

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