(…) II. Die Rechtsbeschwerde war gemäß § 80a Abs. 3 OWiG zur Fortbildung des Rechts auf den Senat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen, weil – soweit erkennbar – bislang höchstrichterlich nicht geklärt ist, ob es sich bei mit dem Messgerät LEIVTEC XV3 durchgeführten Geschwindigkeitsmessungen unter Berücksichtigung der abschließenden Stellungnahme der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt vom 9.6.2021 (Abschlussstand im Zusammenhang mit unzulässigen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3. Stand: 9.6.2021/Physikalisch-Technische Bundesanstalt, Braunschweig und Berlin. DOI: 10.7795/520.20210609) auch derzeit weiterhin um ein standardisiertes Messverfahren handelt.

III. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist begründet. Die Ausführungen in dem angefochtenen Urteil halten im Rahmen der Beweiswürdigung der rechtlichen Prüfung nicht stand.

1.) Die Beweiswürdigung ist zwar grundsätzlich Sache des Tatrichters (§ 46 Abs. 1 OWiG i.V.m. § 261 StPO). Sie unterliegt nur einer eingeschränkten Überprüfung durch das Rechtsbeschwerdegericht. Das Rechtsbeschwerdegericht prüft allein, ob dem Tatrichter bei der Beweiswürdigung Rechtsfehler unterlaufen sind. Das ist nach ständiger Rechtsprechung in sachlich-rechtlicher Hinsicht nur dann der Fall, wenn die Beweiswürdigung widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist, gegen Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt oder an die Überzeugung von der Schuld überhöhte Anforderungen gestellt werden (vgl. nur BGH, Urt. v. 21.3.2017 – 1 StR 486/16, Rn 13, juris).

Bei der Anwendung sog. standardisierter Messverfahren ist der Umfang der Darstellung der Überzeugungsbildung des Tatrichters in den Urteilsgründen deutlich verringert. Den reduzierten Anforderungen wird in derartigen Fällen nach der Rechtsprechung bereits durch Wiedergabe des angewandten Messverfahrens, des berücksichtigten Toleranzabzuges sowie der Mitteilung, dass die Bedingungen des Messverfahrens (Beachtung der Bedienungsvorschriften, Eichung des Gerätes) eingehalten wurden, Genüge getan (OLG Celle, Beschl. v. 21.9.2011 – 322 SsRs 328/11; BVerfG, Beschl. v. 12.11.2020 – 2 BvR 1616/18).

Vorliegend steht außer Frage, dass die äußerst sorgfältig abgefassten Urteilsgründe den reduzierten Anforderungen an die Darlegung der Überzeugungsbildung von der festgestellten Geschwindigkeitsüberschreitung des Betroffenen in jeder Hinsicht gerecht werden. Zudem handelt es sich bei der Geschwindigkeitsmessung mit dem vorliegend verwendeten Messgerät Leivtec XV3 grundsätzlich um ein standardisiertes Messverfahren (OLG Celle, Beschl. v. 7.6.2018 – 2 Ss (OWi) 118/18; OLG Köln, Beschl. v. 20.4.2018 – III-1 RBs 115/18).

2.) Ob ein Messverfahren ein standardisiertes ist, hängt indes nicht von einer höchstrichterlichen Entscheidung, sondern allein von dem Verfahren selbst ab. Standardisiert ist ein durch Regelungen vereinheitlichtes (technisches) Verfahren, bei dem die Bedingungen seiner Anwendbarkeit und sein Ablauf so festgelegt sind, dass unter gleichen Voraussetzungen gleiche Ergebnisse zu erwarten sind (BGH, Beschl. v. 19.8.1993 – 4 StR 627/92, BGHSt 39, 291-305; OLG Koblenz, Beschl. v. 16.10.2009 – 1 SsRs 71/09). Diesen Anforderungen genügen Geschwindigkeitsmessungen mit dem Messgerät Leivtec XV3 unter Berücksichtigung der im Folgenden dargestellten Entwicklung jedenfalls gegenwärtig nicht.

a) Bereits im Oktober 2020 wurde der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt der Verdacht gemeldet, dass das Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3 möglicherweise in sehr speziellen Konstellationen für manche aktuelle Fahrzeugtypen geeichte Geschwindigkeitsmesswerte mit unzulässigen Messwertabweichungen ausgeben könne. Nachdem Versuche von Sachverständigen zudem gezeigt hatten, dass in speziellen Fällen Geschwindigkeitsmesswerte ausgegeben werden, die die Verkehrsfehlergrenzen verletzen, insbesondere auch zu Ungunsten des Betroffenen, und diese Ergebnisse im Grundsatz an der Referenzanlage der PTB reproduziert werden konnten, wurde der PTB eine ergänzte Gebrauchsanweisung vom Hersteller vorgelegt und von ihr am 14.12.2020 genehmigt.

Danach muss u.a. zur Verwertbarkeit der Beweisbilder für alle in Kapitel 5.4 aufgeführten Kriterien zusätzlich folgende Bedingung für das Messung-Start-Bild erfüllt sein:

"Sofern sich im Messung-Start-Bild nicht das komplette Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens befindet, muss die innerhalb des Messfeldrahmens abgebildete Breite des Kennzeichens mindestens der zweifachen Höhe des Kennzeichens entsprechen. Bei Messungen mit Einfahrt des Fahrzeugkennzeichens in den Messfeldrahmen von oben muss im Messung-Start-Bild das gesamte Kennzeichen innerhalb des Messfeldrahmens abgebildet sein."

Diese ergänzende Gebrauchsanweisung konnte die damals bekannten Fälle von unzulässigen Messwertabweichungen zunächst ausschließen (vgl. Zwischenstand im Zusammenhang mit mutmaßlichen Messwertabweichungen beim Geschwindigkeitsüberwachungsgerät Leivtec XV3. Stand: 12.3.2021 / PTB DOI: 10.7795/520.20...

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