VwGO § 123 Abs. 5 § 146

Leitsatz

1. Die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes erfordert regelmäßig den Erlass einer Maßnahme, die nachfolgend Gegenstand gerichtlicher Überprüfung ist. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn dem Betroffenen ein weiteres Zuwarten, ob und wie die Behörde tätig werden wird, nicht zugemutet werden kann und daher ein schutzwürdiges Interesse an einer alsbaldigen gerichtlichen Klärung besteht. Ein sog. qualifiziertes Rechtsschutzbedürfnis ist etwa dann gegeben, wenn die Gefahr besteht, dass irreversible Fakten geschaffen werden und dadurch nicht wiedergutzumachende Nachteile entstehen. Dies ist im Falle der Entziehung der Fahrerlaubnis jedoch grds. nicht der Fall. Dem Betroffenen steht es frei, kein Fahreignungsgutachten einzuholen und seine Rechtsauffassung bzw. die Rechtmäßigkeit der Gutachtensanordnung im Falle einer Entziehung der Fahrerlaubnis unter Inanspruchnahme vorläufigen Rechtsschutzes inzident im gerichtlichen Verfahren prüfen zu lassen.

2. Begutachtungskosten, die durch eine Gutachtensanordnung ohne ausreichenden Anlass entstanden sind, können im Wege eines allgemeinen öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruchs oder der Amtshaftung zurückgefordert werden.

(Leitsätze der Schriftleitung)

BayVGH, Beschl. v. 1.4.2020 – 11 CE 20.397

Sachverhalt

Der ASt. begehrt einstweiligen Rechtsschutz gegen eine ihm drohende Entziehung der ihm am 31.10.2018 wiedererteilten Fahrerlaubnis der Klassen AM, B und L.

Mit Schreiben v. 24.10.2019 forderte die AG den ASt. unter Bezug auf zwei strafgerichtliche Verurteilungen auf, (…) ein medizinisch-psychologisches Gutachten zur Beantwortung der Frage vorzulegen, ob trotz der aktenkundigen erheblichen Straftat v. 29.3.2019 in Zusammenhang mit der Kraftfahreignung, die Anhaltspunkte für ein hohes Aggressionspotenzial aufweise, zu erwarten sei, dass er künftig nicht erheblich oder wiederholt gegen verkehrsrechtliche Bestimmungen verstoßen werde.

Am 28.1.2020 ließ der ASt. durch seinen Bevollmächtigten beim VG beantragen, die AG im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, den Erlass eines Entziehungsbescheids zu unterlassen. Es lägen besondere Gründe für die Vorwegnahme der Hauptsache vor, da die sofortige Entziehung der Fahrerlaubnis bei Nichtbeibringung eines Gutachtens angedroht worden sei, obwohl die Gutachtensanordnung unwirksam wäre. Der ASt. habe bei der Begehung der abgeurteilten Taten weder eine außerordentliche Gewalttätigkeit noch ein sehr hohes Aggressionspotenzial gezeigt. (…)

Das VG (VG Ansbach, Beschl. v. 31.1.2020 – AN 10 E 20.157) lehnte den Antrag mit Beschl. v. 31.1.2020 als unzulässig ab. Nach st. obergerichtlicher Rspr. handle es sich bei der Anordnung zur Beibringung eines Fahreignungsgutachtens nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um eine vorbereitende, nicht anfechtbare Verfahrenshandlung i.S.v. § 44a VwGO. Mit dem Erlass einer einstweiligen Anordnung würde aber die Unanfechtbarkeit vorbereitender Verfahrenshandlungen aufgrund der dann gebotenen Inzidenzprüfung der Rechtmäßigkeit der Gutachtensanforderung im Ergebnis umgangen. Der Verweis auf nachträglichen Rechtsschutz führe auch nicht zu unzumutbaren Nachteilen, die in einem späteren Prozess nicht mehr vollständig beseitigt werden könnten.

Mit seiner Beschwerde, der die AG entgegentritt, macht der ASt. geltend, das VG habe der existenzsichernden Bedeutung der Fahrerlaubnis nicht ausreichend Gewicht gegeben. Allein in der Gefahr, dass die Behörde dem ASt. die Fahrerlaubnis entziehen werde, liege schon eine erhebliche Beeinträchtigung seiner "existenzsichernden Rechte". Auch die Befolgung der Gutachtensanordnung sei mit beträchtlichen, dem ASt. nicht zumutbaren Belastungen verbunden.

2 Aus den Gründen:

"… II."

Die zulässige Beschwerde ist unbegründet.

Aus den im Beschwerdeverfahren vorgetragenen Gründen, auf deren Prüfung der VGH beschränkt ist (§ 146 Abs. 4 S. 1 und 6 VwGO), ergibt sich nicht, dass die Entscheidung des VG zu ändern oder aufzuheben wäre.

Das VG hat den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht als unzulässig abgelehnt. Dem Rechtsschutzsuchenden, der sich wie hier der ASt. vorbeugend gegen den Erlass eines Verwaltungsakts wendet, ist es in der Regel zuzumuten, die Verwaltungsmaßnahme abzuwarten und anschließend um vorläufigen Rechtsschutz nach §§ 80, 80a VwGO nachzusuchen. Für einen vorbeugenden Antrag gem. § 123 Abs. 1 VwGO fehlt dann ein Rechtsschutzbedürfnis (vgl. Schoch in Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juli 2019, § 123 Rn 45; Happ in Eyermann, VwGO, 15. Aufl. 2019, § 123 Rn 37).

Der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz ist aus Gründen der Gewaltenteilung nicht vorbeugend konzipiert (st. Rspr, vgl. BVerwG, Urt. v. 23.6.2016 – 2 C 18.15 – NVwZ-RR 2016, 907 = juris Rn 19; BayVGH, Beschl. v. 28.11.2019 – 10 CE 19.2234 – juris Rn 5; Beschl. v. 24.1.2017 – 4 CE 15.273 – juris Rn 16; Beschl. v. 4.10.2005 – 11 CE 05.2304 – juris Rn 17). Um den Grundsatz der Gewaltenteilung und das der Verwaltung zugewiesene Handlungsfeld nicht übermäßig und “anlasslos' zu beeinträc...

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