StPO §§ 464b, 467; VV RVG Nr. 7003, 7005

Aufgrund der Änderung des § 142 Abs. 1 StPO durch das 2. Opferrechtsreformgesetz sind dem freigesprochenen Beschuldigte auch die Reisekosten seines auswärtigen Wahlverteidigers zu erstatten.

AG Witten, Beschl. v. 21. 4. 2010 – 9 Ds-63 Js 63/09-44/09

In einem Strafverfahren vor dem AG Witten wegen unerlaubten Entfernens vom Unfallort ließ sich die Angeklagte durch einen auswärtigen Rechtsanwalt als Wahlverteidiger vertreten. Die Angeklagte wurde auf Kosten der Landeskasse freigesprochen. Der Verteidiger machte als Rechtsnachfolger der Angeklagten (wohl auf Grund einer Abtretung) die notwendigen Auslagen im Kostenfestsetzungsverfahren geltend, darunter Fahrtkosten nach Nr. 7003 VV RVG und Tage- und Abwesenheitsgeld gem. Nr. 7005 VV RVG i.H.v. zusammen 80,44 EUR (einschließlich anteiliger Umsatzsteuer). Die Rechtspflegerin des AG hat dem Kostenfestsetzungsantrag entsprochen. Das AG Witten hat die hiergegen gerichtete Erinnerung des Bezirksrevisors als Vertreter der Landeskasse zurückgewiesen.

Aus den Gründen:

Die Erinnerung ist zulässig, in der Sache jedoch unbegründet. Nach Ansicht des Gerichts hat die Rechtspflegerin zu Recht die hier streitigen Mehrkosten in Höhe von 80,44 EUR (inklusive Mehrwertsteuer) als erstattungsfähig angesehen. Nach der Neufassung des § 142 StPO ist für den beizuordnenden Pflichtverteidiger das Merkmal der Ortsansässigkeit aus dem Gesetzestext gestrichen worden. Nach der Gesetzesbegründung ist für die Bestellung des Pflichtverteidigers ausdrücklich ein besonders Vertrauensverhältnis zwischen dem Angeklagten und dem Verteidiger von erheblicher Bedeutung. Mit Schreiben vom 2.2.2010 hat der Verteidiger das Bestehen eines solchen besonderen Vertrauensverhältnisses geltend gemacht. Würde es sich somit bei dem Verteidiger der Angeklagten um einen Pflichtverteidiger handeln, so wären die hier streitigen Mehrkosten erstattungsfähig. Nach Ansicht des Gerichts kann demgegenüber ein Wahlverteidiger nicht schlechter gestellt werden, so dass auch in diesem Falle die hier streitigen Mehrkosten erstattungsfähig sind.

 
Anmerkung

Die Entscheidung gibt dem auswärtigen Verteidiger eine gute Argumentationshilfe gegen das Ansinnen, seine Reisekosten nicht zu erstatten.

I. Pflichtverteidiger

Auf Grund der Neufassung des § 142 Abs. 1 StPO durch das 2. Opferrechtsreformgesetz zum 1.10.2009 sind nunmehr auch die Reisekosten des auswärtigen Pflichtverteidigers aus der Staatskasse zu ersetzen. In der bis dahin geltenden Gesetzesfassung hieß es in § 142 StPO:

"Der zu bestellende Verteidiger wird … möglichst aus der Zahl der in dem Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwälte ausgewählt."

In der Neufassung dieser Vorschrift heißt es insoweit:

"Vor der Bestellung eines Verteidigers soll dem Beschuldigten Gelegenheit gegeben werden, innerhalb einer zu bestimmenden Frist einen Verteidiger seiner Wahl zu benennen. Der Vorsitzende bestellt diesen, wenn kein wichtiger Grund entgegensteht."

Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme zu dem Gesetzesentwurf (BT-Drucks 16/12812 S. 10) Bedenken erhoben, Pflichtverteidiger nicht mehr möglichst aus der Zahl der in dem Gerichtsbezirk niedergelassenen Rechtsanwälte zu bestellen, weil dies zu erheblichen, sachlich nicht gerechtfertigten Mehrkosten für die Staatskasse führe. In ihrer Gegenäußerung (BT-Drucks 16/12812 S. 19) hatte die Bundesregierung erwidert, die Beschränkung auf den am Gerichtsort ansässigen Pflichtverteidiger sei im Hinblick auf die berechtigten Interessen der Betroffenen insbesondere der Wahl eines Rechtsanwalts ihres Vertrauens, nicht sachgerecht. Allerdings bleibt die Entfernung des Sitzes des Rechtsanwalts vom Gerichtsort gleichwohl einer der Gesichtspunkte, die bei der im Rahmen der Auswahlentscheidung des Vorsitzenden gebotenen Abwägung auch weiterhin zu berücksichtigen sind (s. BT-Drucks 16/12098 S. 20 f., so auch OLG Oldenburg, Beschl. v. 21.4.2010 – 1 Ws 184/10). In jenem Fall hatte das OLG die Entscheidung des Vorsitzenden der Schwurgerichtskammer des LG Oldenburg in einem schwierigen Verfahren wegen versuchten Mordes, in dem dem Beschuldigten ein Pflichtverteidiger in der Nähe seines Wohnortes bestellt wurde, nicht beanstandet.

Die Erleichterungen gelten übrigens auch infolge der Verweisung auf § 142 StPO in § 68b Abs. 2 S. 2 StPO, § 397a S. 2 StPO und § 406g Abs. 3 StPO in den Fällen, in denen Zeugen, Nebenklägern und Nebenklagebefugten ein anwaltlicher Beistand beizuordnen ist.

II. Wahlverteidiger

Reisekosten eines auswärtigen Wahlverteidigers sind nach § 464a Abs. 2 StPO i.V.m. § 91 Abs. 2 S. 1 ZPO nur erstattungsfähig, wenn dessen Zuziehung zur zweckentsprechenden Verteidigung notwendig war. Dies wurde von der Rspr. sehr engherzig beurteilt (s. Gerold/Schmidt/Madert, RVG, 18. Aufl., Nr. 7005-7007 VV RVG Rn 54 ff.; Meyer-Goßner, StPO, 52. Aufl., § 464a StPO Rn 12 m.w.N.). Wenn aber nunmehr auf Grund der Gesetzesänderung die Frage der "Ortsansässigkeit" des Verteidigers für die Bestellung zum Pflichtverteidiger kein, jede...

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