Richtlinie 91/439/EWG Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1, 8 Abs. 2 und 4, 9 Abs. 1, 12 Abs. 3; StVG § 3; FeV §§ 46, 11, 13, 14, 28 Abs. 1, 4, 5; StGB § 69

Leitsatz

1. Die Art. 1 Abs. 2, 7 Abs. 1 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439/EWG des Rates vom 29.7.1991 über den Führerschein in der durch die Verordnung (EG) Nr. 1882/2003 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29.9.2003 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat verwehren, es unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung, die sich aus einem zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Mitgliedstaat außerhalb einer für den Betroffenen geltenden Sperrzeit ausgestellten Führerschein ergibt, und somit die Gültigkeit dieses Führerscheins anzuerkennen, solange der Inhaber dieses Führerscheins die Bedingungen nicht erfüllt, die nach den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats für die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis nach dem Entzug einer früheren Fahrerlaubnis vorliegen müssen, einschließlich einer Überprüfung der Fahreignung, die bestätigt, dass die Gründe für den Entzug nicht mehr vorliegen.

Unter denselben Umständen verwehren diese Bestimmungen es einem Mitgliedstaat jedoch nicht, es abzulehnen, in seinem Hoheitsgebiet die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus einem zu einem späteren Zeitpunkt von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, wenn auf der Grundlage von Angaben in diesem Führerschein oder anderen vom Ausstellermitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen feststeht, dass zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins sein Inhaber, auf den im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats eine Maßnahme des Entzugs einer früheren Fahrerlaubnis angewendet worden ist, seinen ordentlichen Wohnsitz nicht im Hoheitsgebiet des Ausstellermitgliedstaats hatte.

2. Die Art. 1 Abs. 2 sowie 8 Abs. 2 und 4 der Richtlinie 91/439 in der durch die Verordnung Nr. 1882/2003 geänderten Fassung verwehren es einem Mitgliedstaat, der nach dieser Richtlinie verpflichtet ist, die Fahrberechtigung anzuerkennen, die sich aus einem von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerschein ergibt, diese Fahrberechtigung vorläufig auszusetzen, während der andere Mitgliedstaat die Modalitäten der Ausstellung dieses Führerscheins überprüft. Dagegen verwehren es diese Bestimmungen unter denselben Umständen einem Mitgliedstaat nicht, die Aussetzung der Fahrberechtigung anzuordnen, wenn sich aus den Angaben im Führerschein oder anderen von diesem anderen Mitgliedstaat herrührenden unbestreitbaren Informationen ergibt, dass die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie vorgeschriebene Wohnsitzvoraussetzung zum Zeitpunkt der Ausstellung dieses Führerscheins nicht erfüllt war.

EuGH, Urt. v. 26.6.2008 – verbundene Rechtssachen C-329/06 und C-343/06

Sachverhalt

Diese Ersuchen sind in zwei Rechtsstreitigkeiten ergangen, in denen sich zum einen Herr Wiedemann und das Land Baden-Württemberg (Rechtssache C-329/06) und zum anderen Herr Funk und die Stadt Chemnitz (Rechtssache C-343/06) gegenüberstehen; sie betreffen die Weigerung der Bundesrepublik Deutschland, die Führerscheine anzuerkennen, die Herrn Wiedemann und Herrn Funk in der Tschechischen Republik ausgestellt worden sind, nachdem ihnen ihre deutsche Fahrerlaubnis wegen Drogen- bzw. Alkoholkonsums entzogen worden war.

Aus den Gründen

“Die Ausgangsverfahren und die Vorlagefragen

Rechtssache C-329/06

[22] Herr Wiedemann, der deutscher Staatsangehöriger ist, wohnt seit dem 30.6.1995 in Deutschland, zunächst in BW., dann in W.

[23] Am 29.4.2002 erteilte ihm das Landratsamt R. eine Fahrerlaubnis der Klasse B mit einer Probezeit von zwei Jahren. Am 2.9.2003 wurde Herrn Wiedemann aufgegeben, wegen einer straßenverkehrsrechtlichen Zuwiderhandlung an einem Aufbauseminar teilzunehmen. Am 20.3.2004 ergab ein bei ihm durchgeführter Urintest einen Hinweis auf Konsum von Heroin und Cannabis. Bei dieser Gelegenheit räumte er den regelmäßigen Genuss von Cannabis ein.

[24] Mit Verfügung vom 14.4.2004 entzog das Landratsamt R. Herrn Wiedemann die Fahrerlaubnis mit der Begründung, er sei wegen seines Drogenkonsums zum Führen von Kraftfahrzeugen ungeeignet.

[25] Der Widerspruch von Herrn Wiedemann gegen diese Verfügung wurde vom Regierungspräsidium T. mit Widerspruchsbescheid vom 16.8.2004, bestandskräftig seit dem 20.9.2004, zurückgewiesen.

[26] Am 19.9.2004, einem Sonntag, erteilte die Fahrerlaubnisbehörde der Stadt Karlovice (Tschechische Republik) Herrn Wiedemann eine Fahrerlaubnis. Am 1.10.2004 wurde ihm ein tschechischer Führerschein der Klasse B mit der Wohnsitzangabe "BW, Deutschland" ausgestellt.

[27] Herr Wiedemann nahm mit dieser Fahrerlaubnis am Straßenverkehr in Deutschland teil und verursachte dabei am 11.10.2004 einen Verkehrsunfall. Am 16.10.2004 wurde sein Führerschein von der Polizeidirektion R. beschlagnahmt.

[28] Mit Verfügung des Landratsamts R. vom 27.10.2004 wurde ihm das Recht aberkannt, auf Grund seiner tschechischen Fahrerlaubnis in Deutschland...

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