AKB E 1.2, 7.1, 7.2 7.3; VVG § 28 Abs. 3

Leitsatz

Auf Arglist bei unerlaubtem Entfernen vom Unfallort darf geschlossen werden, wenn der Fahrzeugführer im Rahmen des gegen ihn geführten Strafverfahrens die Unfallbeteiligung leugnet und die nach dem Unfallgeschehen eingeschlagene Fahrtstrecke unplausibel ist.

(Leitsatz der Schriftleitung)

LG Osnabrück, Urt. v. 26.3.2020 – 9 S 166/19

Sachverhalt

Für das Fahrzeug der Marke V besteht bei dem Kl. eine Haftpflichtversicherung. VN ist der Bekl. Dem Versicherungsverhältnis liegen die AKB zugrunde. Der Bekl. war mit dem vorbenannten Fahrzeug am 25.10.2017 in O. in einen Verkehrsunfall verwickelt. Bei diesem Verkehrsunfall wurde ein weiteres Fahrzeug der Marke, welches von Herrn P. geführt wurde, beschädigt. Der Verkehrsunfall ereignete sich wie folgt: Herr P. befuhr mit seinem Fahrzeug vor dem Bekl. die Straße M. in Fahrtrichtung Z. Der Bekl. überholte das vor ihm fahrende Fahrzeug. Hierbei touchierte er das Fahrzeug des Herrn P. An dem Fahrzeug des Herrn P. entstand ein Sachschaden. Der Bekl. fuhr weiter.

2 Aus den Gründen:

"… Der Bekl. haftet dem Kl. aus § 116 Abs. 1 S. 2 VVG in Verbindung mit Ziffern E.1.2, E.7.1, E.7.2, E.7.3 AKB, § 28 Abs. 3 VVG auf Rückzahlung von 2.162,26 EUR. Die Forderungshöhe ist von dem Bekl. nicht in Abrede gestellt worden."

Gem. § 28 Abs. 3 VVG ist der VR, auch wenn die Obliegenheit weder für den Eintritt oder die Feststellung des Versicherungsfalls noch für die Feststellung oder den Umfang der Leistung des VR ursächlich ist, nicht zu Leistung verpflichtet, wenn der VN die Obliegenheit arglistig verletzt hat.

Das AG hat zu Unrecht angenommen, der Kl. habe nicht den Nachweis erbracht, dass der Bekl. arglistig die Obliegenheit verletzt habe. Der Vorwurf der Arglist setzt keine Bereicherungsabsicht des VN voraus. Vielmehr genügt bereits das Bestreben, Schwierigkeiten bei der Durchsetzung berechtigter Deckungsansprüche zu beseitigen. Arglistig handelt der VN schon dann, wenn er die Obliegenheit bewusst begeht und dabei billigend in Kauf nimmt, dass sein Verhalten den Versicherer bei der Schadensregulierung möglicherweise beeinflussen kann (BGH VersR 2011, 1121).

Die Kammer teilt die Auffassung, welche in der obergerichtlichen Rspr. vertreten wird, wonach nicht jedes unerlaubte Entfernen vom Unfallort pauschal als Arglist im Sinne der versicherungsrechtlichen Regelung zur Obliegenheit angesehen werden kann. Es sind vielmehr die Umstände des Einzelfalls entscheidend (BGH, r+s 2013, 61). Für das Vorliegen von Arglist ist der VR, mithin der Kl., beweispflichtig.

Ein Beweis ist gem. § 286 ZPO erbracht, wenn das Gericht nach Durchführung der mündlichen Verhandlung und der Beweisaufnahme von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptung überzeugt ist. Dies erfordert keinen absoluten Grad an Gewissheit. Vielmehr ist ein solcher Grad an Gewissheit ausreichend, der Zweifeln Schweigen gebietet (…).

Das BG ist zwar gem. § 529 ZPO grds. an die Feststellungen des AG gebunden, es sei denn, es bestehen konkrete Anhaltspunkte für Zweifel an deren Richtigkeit und Vollständigkeit. Vorliegend hat das AG die Angaben des Bekl. nicht hinreichend gewürdigt und hinterfragt.

Entgegen der Ansicht des AG spricht für ein arglistiges Verhalten des Bekl. sein Verhalten gegenüber den strafrechtlichen Ermittlungsbehörden. Nachdem er zunächst am Unfalltag den Unfall und dessen Bemerken ggü. den Polizeibeamten eingeräumt hat, hat er im Rahmen einer anschließenden Aussage vor der Polizei den Vorfall hingegen in Abrede gestellt. Im Rahmen des Strafverfahrens hat der Bekl. zunächst angegeben, dass ihm nichts aufgefallen sei und er seine Fahrt fortgesetzt habe. Erst nach einer Unterbrechung des Verfahrens hat der Bekl. eingeräumt, dass er nervös geworden sei und deswegen weitergefahren sei. Ihm tue sein Fehlverhalten leid. Er habe gemerkt, dass etwas geschürft habe.

Ebenfalls berücksichtigt die Kammer den Fahrweg, den der Kl. nach dem Unfall zur Schule genommen hat. Wie die Kammer im Rahmen des Termins zur mündlichen Verhandlung über die Berufung nach Anhörung des Kl. mitgeteilt hat, ist ein solcher Streckenverlauf nicht plausibel nachvollziehbar. Nach Ansicht der Kammer belegt die Fahrstrecke vielmehr, dass der Kl. beabsichtigte, seinen Verfolger, den geschädigten Herrn P., abzuhängen. Im Unterschied zur Entscheidung des OLG Hamm (zfs 2017, 451), ist auch nicht ersichtlich, dass der Unfall von einem Dritten bemerkt worden ist und daher eine Verzögerung nicht zu befürchten ist. Darüber hinaus hat der Kl. sich auch nicht unmittelbar nach Schulschluss darum bemüht, seine Beteiligung am Unfallgeschehen ggü. den Ermittlungsbehörden aus eigenem Antrieb kundzutun.

Schließlich hat der Kl. im Rahmen seiner persönlichen Anhörung angegeben, dass er Kontakt mit einem Rechtsanwalt aufgenommen hat. Er war sich mithin seiner Verpflichtung, ggü. den Strafermittlungsbehörden seine Beteiligung anzugeben, bewusst. Der ihm erteilte Rat, sich nicht zu melden, vermag dieses Fehlverhalten nicht zu entschuldigen. In einer solchen Situation ist nach Ansicht de...

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