StVG § 17; StVO §§ 9 Abs. 5, 35

Leitsatz

1) Kommt es in unmittelbarem örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Wendenden zu einer Kollision mit einem links überholenden Fahrzeug, spricht der Beweis des ersten Anscheins für eine Sorgfaltspflichtverletzung des Wendenden.

2) Wegen der besonderen Sorgfaltspflichten des Wendenden haftet dieser im Falle der Kollision mit einem ordnungsgemäß überholenden Kfz grundsätzlich allein, wobei die Betriebsgefahr des Kfz des Überholers zurücktritt.

3) Aus dem Umstand, dass ein Pkw zunächst nach rechts blinkt, an den rechten Straßenrand fährt und dort anhält, muss der Fahrer eines mit Blaulicht und überhöhter Geschwindigkeit herannahenden Einsatzfahrzeuges nicht schließen, dieser Pkw würde sogleich wenden, und der Einsatzfahrer ist nicht zur sofortigen Vollbremsung verpflichtet.

4) Allein die überhöhte Geschwindigkeit eines Einsatzfahrzeugs führt nach § 35 Abs. 1, 8 StVO nicht zur Mithaftung.

(Leitsätze des Einsenders)

KG, Beschl. v. 2.10.2008 – 12 U 206/08

Sachverhalt

Die Klägerin hat als Eigentümerin des in einen Unfall verwickelten Pkw gegen den Beklagten als Eigentümer und Halter eines Polizeifahrzeuges Schadensersatzansprüche aus einem Unfallereignis geltend gemacht. Die Klägerin fuhr mit ihrem Pkw auf einer Straße auf der Suche nach einem Parkplatz. Nach ihrer von dem Beklagten bestrittenen Darstellung hielt sie am rechten Fahrbahnrand an, nachdem sie auf der gegenüberliegenden Seite einen freien Parkplatz entdeckt hatte, um hinter ihr fahrende Fahrzeuge vorbei fahren zu lassen. Sodann habe sie den linken Fahrtrichtungsanzeiger gesetzt, sich vergewissert, dass sich weder rückwärtiger Verkehr noch Gegenverkehr nähere und sei angefahren und bis zur Fahrbahnmitte gelangt. Dort sei sie mit dem Polizeifahrzeug des Beklagten kollidiert, das mit einer Geschwindigkeit von 90 km/h herangefahren sei. Neben Sachschäden (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert, Gutachterkosten, Nebenkostenpauschale, Nutzungsausfallentschädigung und Abschleppkosten) hat sie wegen einer behaupteten unfallbedingten HWS-Distorsion ein angemessenes Schmerzensgeld verlangt. Der Beklagte hat die Abweisung der Klage mit der Begründung verfolgt, dass die Klägerin das Schadensereignis allein dadurch herbeigeführt habe, dass sie den Vorrang des sich nähernden Einsatzfahrzeuges nicht beachtet habe. Das LG hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht wies in einem Beschluss auf die fehlende Erfolgsaussicht der Berufung der Klägerin, mit der sie die abgewiesenen Ansprüche weiter verfolgte, hin.

Aus den Gründen

Aus den Gründen: „… Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg.

Der Senat folgt den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

1. Zutreffend hat das LG nach Beweisaufnahme die Klage im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, der Anscheinsbeweis spräche dafür, dass die Klägerin die ihm nach § 9 Abs. 5 beim Wenden obliegenden Sorgfaltspflichten verletzt habe, da sich der Unfall im Zusammenhang mit dem Wendevorgang der Klägerin ereignet habe; demgegenüber scheide eine Mithaftung des Beklagten aus, weil die Klägerin durch die von ihr benannte Zeugin L nicht habe beweisen können, dass sie vor und während des Wendevorgangs den linken Blinker gesetzt habe.

Gründe für eine Mithaftung des Beklagten seien auch nach dem Ergebnis des Gutachtens des vom LG beauftragten Sachverständigen W vom 20.2.2007 nicht feststellbar; danach wäre der Unfall zwar vermieden worden, wenn der Fahrer des mit Blaulicht und einer Geschwindigkeit von etwa 83 km/h herannahenden Polizeifahrzeuges zunächst nicht nur eine Betriebsbremsung, sondern eine Vollbremsung vorgenommen hätte; hierzu hätte aber nur dann Anlass bestanden, wenn das klägerische Fahrzeug nach links geblinkt hätte; gerade dies habe die Klägerin aber nicht zu beweisen vermocht.

Auch aus dem Umstand, dass das Polizeifahrzeug die zulässige Höchstgeschwindigkeit ganz erheblich überschritten habe, folge keine Mithaftung, da das Einsatzfahrzeug hierzu berechtigt gewesen sei; nach § 10 StVO habe die Klägerin das im fließenden Verkehr befindliche Polizeifahrzeug vorbeifahren lassen müssen.

2. Die dagegen mit der Berufungsbegründung vorgetragenen Argumente sind nicht geeignet, die beantragte Abänderung des angefochtenen Urteils zu bewirken und der Klägerin Schadensersatz nach der im Berufungsverfahren nur noch geltend gemachten Quote von 50 % zuzusprechen.

Wegen der besonderen Sorgfaltspflichten aus § 9 Abs. 5 StVO (beim Wenden ist eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer auszuschließen; höchste Sorgfaltsstufe) spricht gegen den Wendenden der Beweis des ersten Anscheins, eine in unmittelbarem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit einem...

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