StVZO § 31a; GG Art. 2 Abs. 1 Art. 20 Abs. 3; StPO § 475 Abs. 2, Abs. 3 § 480 Abs. 3; OWiG § 49b

Leitsatz

Ist davon auszugehen, dass dem Kfz-Halter der von ihm begehrte Informationszugang zwar rechtlich eröffnet war, er es aber – obwohl anwaltlich vertreten – unterlassen hat, ihn auf die gesetzlich vorgesehene Weise anzustreben und durchzusetzen, dann führt dies nicht zu einer Ausweitung der Amtsermittlungspflichten der für die Fahrtenbuchanordnung zuständigen Straßenverkehrsbehörde oder des VG. Der Kfz- Halter kann darauf verwiesen werden, sich mit seinem Begehren nach Informationszugang beizeiten an die im Bußgeldverfahren aktenführende Verfolgungsbehörde und sodann ggf. an die zur Überprüfung von zugangsverweigernden Entscheidungen dieser Behörde zuständige ordentliche Gerichtsbarkeit zu wenden. (Leitsatz der Schriftleitung)

OVG Niedersachsen, Beschl. v. 22.12.2022 – 12 ME 115/22

1 Sachverhalt

Die Antragstellerin, die sich gegen eine befristete Fahrtenbuchführungspflicht wendet, beanstandet u.a., dass der angefochtenen Beschl. des VG Hannover v. 5.9.2022 – 5 B 2953/22 – das Grundrecht auf ein faires Verfahren verletze, weil das VG von ihr Prozessvortrag und hinsichtlich des Messprotokolls sogar einen Gegenbeweis erwarte, obwohl gleichzeitig die dafür notwendige Akteneinsicht insbesondere in die Videosequenz weder vom Antragsgegner noch vom VG gewährt worden sei. Sie meint, richtigerweise hätte die Vorinstanz die Videosequenz anfordern und Akteneinsicht gewähren müssen. Damit wendet sie sich gegen die Quintessenz der Rechtsauffassung des VG, dass es keiner gesteigerten Amtsermittlung bedurft habe. Sie hält es für einen "Zirkelschluss", von einem "Betroffenen" substantiierte Einwände zu erwarten, während gleichzeitig vereitelt worden sei, dass dieser solche Einwände habe erheben können, indem ihm die dafür notwendige vollständige Akteneinsicht versagt worden sei.

2 Aus den Gründen:

Zitat

… II. Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschl. des VG Hannover v. 5.9.2022 hat keinen Erfolg. …

Die Darlegungen der Antragstellerin führen … nicht zu einem Erfolg der Beschwerde. Denn sie kann sich hier nicht mit Erfolg auf eine Verletzung ihres Rechtes auf ein faires Verfahren bei der Straßenverkehrsbehörde oder im ersten Rechtszug berufen. Sie legt nämlich nicht dar, dass sie sich nicht nur während, sondern nochmals nach der Einstellung des Bußgeldverfahrens – und damit nach Wegfall eines (etwaigen) Versagungsgrundes gemäß § 49b Nr. 3 OWiG i.V.m. § 479 Abs. 1 StPO (vgl. Bücherl, in: Graf [Hrsg.], BeckOK OWiG, 36. Edition [Stand: 1.10.2022], § 49b Rn 37) – erfolglos gemäß § 49b OWiG i.V.m. § 475 Abs. 2 und 3 StPO (vgl. Gassner, in: Gassner/Seith, OWiG, 2. Aufl. 2020, § 49b Rn 9 ff.; siehe auch BVerwG, Beschl. v. 18.12.2019 – BVerwG 10 B 14.19 –, WM 2020, 504 ff., hier zitiert nach juris, Rn 15) und § 49b Nr. 4 OWiG i.V.m. § 479 Abs. 4 S. 2 Alt. 2 StPO an die nach § 49b OWiG i.V.m. § 480 S. 1 StPO zuständige Bußgeldstelle des Antragsgegners gewandt habe, um von dieser unter Hinweis auf ein sich aus dem Verwaltungsverfahren zur Anordnung der Fahrtenbuchführungspflicht ergebendes berechtigtes Interesse Zugang zu den ihres Erachtens benötigten Objekten der Einnahme des Augenscheins zu erhalten. Sie legt erst recht nicht dar, dass sie – was indessen notfalls geboten gewesen wäre – gegen eine Versagung des begehrten Zugangs durch die Bußgeldstelle des Antragsgegners auch den in § 49b Nr. 5 OWiG i.V.m. § 480 Abs. 3 StPO vorgesehenen Rechtsbehelf (vgl. van Endern, in: Ory/Weth, jurisPK-ERV, Bd. 4, 2. Aufl., § 49b OWiG [Stand: 1.6.2022] Rn 4) ergriffen und das nach § 68 OWiG zuständige Amtsgericht dagegen angerufen habe.

Es ist aber weder ersichtlich, dass der Antragstellerin ein solches Vorgehen unzumutbar gewesen wäre, noch steht fest, dass die Bußgeldstelle des Antragsgegners oder notfalls das AG ihr Anliegen abgelehnt hätten, zumal auch Zeugen den Regelungen des § 475 StPO (i.V.m. § 49b OWiG) unterfallen (vgl. Gieg, in: Karlsruher Kommentar zur StPO, 9. Aufl. 2023, § 475, Rn 1a, m.w.N.).

Einen entsprechenden Versuch hätte die Antragstellerin selbst dann unternehmen müssen, wenn es fehlerhaft gewesen sein sollte, dass die Straßenverkehrsbehörde des Antragsgegners das ihr gegenüber nochmals geäußerte Verlangen der Antragstellerin nach Zugang zu den genannten Objekten nicht zuständigkeitshalber an die Bußgeldstelle des Antragsgegners weitergab. Die Antragstellerin hat nämlich – obwohl anwaltlich vertreten – daraufhin nicht versucht, eine solche Abgabe zu erreichen.

Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Antragstellerin der von ihr begehrte Informationszugang zwar rechtlich eröffnet war, sie es aber – obwohl anwaltlich vertreten – unterlassen hat, ihn auf die gesetzlich vorgesehene Weise anzustreben und durchzusetzen. Das führt nicht zu einer Ausweitung der Amtsermittlungspflichten der für die Fahrtenbuchanordnung zuständigen Straßenverkehrsbehörde oder des VG.

Abweichendes ergibt sich auch nicht aus der von der Antragstellerin angeführten verfassungsgerichtliche...

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