Leitsatz

Dem Betroffenen steht es frei, die Messdatei anzufordern und selbst auszuwerten. Die Auswertung ist kein einmaliger Vorgang, welcher – entsprechend einem standardisierten Messverfahren – mittels geschultem Personal an geeichten Geräten und entsprechend der Bedienungsanleitung durchgeführt werden muss, sondern ein solcher, welcher zur Prüfung der Richtigkeit jederzeit wiederholt werden kann und entsprechende Vorgaben gerade nicht unterliegt.

AG Schwelm, Beschl. v. 24.2.2022 – 60 OWi-467 Js 254/21-192/21

Nachgehend LG Hagen, Beschl. v. 8.3.2022 – 46 Qs 14/22

Sachverhalt

Das AG hat einer Beschwerde gegen die versagte Gewährung von Akteneinsicht nicht abgeholfen und die Sache dem LG Hagen vorgelegt. Das LG hat die Entscheidung des AG insoweit aufgehoben, dass die Bußgeldstelle angewiesen worden ist, die Falldatensätze der gesamten Messreihe, die Wartungsunterlagen, die Baumusterprüfbescheinigung, die Gebrauchsanweisung für Auswertesoftware und Messanhänger sowie das Standort-Erstinbetriebnahmeprotokoll zur Verfügung zu stellen. Im Übrigen wurde die Beschwerde zurückgewiesen. Gegenstand ist hier allein der Nichtabhilfebeschluss des AG.

2 Aus den Gründen:

Die Beschwerde, die das Amtsgericht entgegen der Auffassung des Landgerichts in dem Beschluss 46 Qs 59/21 bereits für unzulässig hält, ist jedenfalls unbegründet. Ein Anspruch auf Zurverfügungstellung der aufgelisteten Unterlagen besteht nicht.

Soweit die Zurverfügungstellung der "Lebensakte" beantragt wird, befindet sich diese bereits in der Akte und wurde der Verteidiger auch bereits zur Verfügung gestellt. Insoweit fehlt es bereits am Rechtsschutzbedürfnis.

Im Übrigen kommt eine Zurverfügungstellung durch das Gericht bereits vor dem Hintergrund nicht in Betracht, als die Unterlagen dem Gericht selbst nicht vorliegen. Darüber hinaus besteht jedoch auch kein Anspruch auf Beiziehung und anschließende Zurverfügungstellung der begehrten Unterlagen.

Zwar sind dem Betroffenen im Rahmen eines Bußgeldverfahrens auf seinen Antrag hin auch solche Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die nicht Gegenstand der Akte sind und die das Gericht seiner Entscheidung nicht zugrunde zu legen beabsichtigt. Die begehrten, hinreichend konkret benannten Informationen müssen jedoch zum einen in einem sachlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem jeweiligen Ordnungswidrigkeitenvorwurf stehen und zum anderen erkennbar eine Relevanz für die Verteidigung aufweisen. Insofern ist maßgeblich auf die Perspektive des Betroffenen bzw. seines Verteidigers abzustellen. Entscheidend ist, ob dieser eine Information verständiger Weise für die Beurteilung des Ordnungswidrigkeitenvorwurfs für bedeutsam halten darf. (BVerfG, NJW 2021, 455 Rn 57).

Gemessen an diesen Maßstäben kann das Gericht vorliegend einen Anspruch des Betroffenen auf Herausgabe nicht erkennen.

Soweit die Herausgabe einer "Baumusterprüfbescheinigung" und der Verwendungsanzeige begehrt wird, ist bereits vor dem Hintergrund, dass sich die gesamte Lebensakte samt Eichscheinen und Konformitätsbescheinigung in der Akte befinden, nicht ersichtlich, dass dieser aus Sicht eines verständigen Betroffenen noch irgendein Erkenntnisgewinn zukommen könnte.

Gleiches gilt für die Bedienungsanleitung der Auswertesoftware und des Messanhänger, die der Verteidigung indes bereits aus anderen Verfahren vorliegen.

Dem Betroffenen und seiner Verteidigung steht es frei, die Messdatei anzufordern und selbst auszuwerten. Die Auswertung ist daher kein einmaliger Vorgang, welcher – entsprechend einem standardisierten Messverfahren – mittels geschultem Personal an geeichten Geräten und entsprechend der Bedienungsanleitung durchgeführt werden muss, sondern ein solcher, welcher zur Prüfung der Richtigkeit jederzeit wiederholt werden kann und entsprechende Vorgaben gerade nicht unterliegt (vgl. etwa PTB, Stellungnahme zur Frage der Manipulierbarkeit signierter Falldateien, abrufbar unter https://oar.ptb.de/files/download/57d93726a4949d1c2d3c986e).

Bei dem "Messanhänger", gemeint dürfte der durch die Herstellerfirma sogenannte "Enforcement Trailer" sein, handelt es sich ausweislich allgemein zugänglicher Quellen im Internet (vgl. etwa https://www.vitronic.com/de-de/verkehrstechnik/geschwindigkeitsueberwachung) letztlich um eine reine Wegnahmesperre, mit welcher ermöglicht werden soll, ein Messgerät unbeaufsichtigt eine längere Zeit über einzusetzen. Das Messgerät wird – aus Vernehmungen der Messbeamten in vorangegangenen Verfahren gerichtsbekannt – erst vor Ort in den bereits aufgestellten Trailer eingesetzt. Vor diesem Hintergrund ist auszuschließen, dass sich aus der Bedienungsanleitung desselben irgendwelche Informationen herleiten ließen, welche Rückschlüsse auf die Richtigkeit der konkreten Messung ermöglichen würden.

Soweit die Zurverfügungstellung eines "Standort-Erstinbetriebnahmeprotokolls" begehrt wird, ist bereits nicht dargelegt oder sonst ersichtlich, dass ein solches überhaupt existiert. Vor dem Hintergrund, dass das Messgerät immer wieder neu an unterschiedlichen Standorten aufgestellt wird, ers...

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