Richtlinie 2006/126/EG Art. 2 Abs. 1 7 Abs. 3 Unterabs. 2 11 Abs. 4; StVG § 3 Abs. 6; FeV § 13 Abs. 1 Nr. 2c § 29

Leitsatz

Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.12.2006 über den Führerschein sind dahin auszulegen, dass sie es einem Mitgliedstaat, in dessen Gebiet dem Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins der Klassen A und B wegen einer Zuwiderhandlung, die bei einem vorübergehenden Aufenthalt in diesem Gebiet nach der Ausstellung dieses Führerscheins stattgefunden hat, das Recht, zu fahren, aberkannt wurde, nicht verwehren, später die Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins abzulehnen, nachdem dieser gemäß Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie von dem Mitgliedstaat, in dem sich der ordentliche Wohnsitz im Sinne von Art. 12 Abs. 1 dieser Richtlinie des Inhabers dieses Führerscheins befindet, erneuert wurde. Das vorlegende Gericht muss allerdings prüfen, ob gemäß dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit die von den Rechtsvorschriften des erstgenannten Mitgliedstaats vorgesehenen Regeln, mit denen die Bedingungen festgelegt werden, die der Inhaber eines Führerscheins erfüllen muss, um das Recht wiederzuerlangen, in diesem Gebiet zu fahren, nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des von der Richtlinie 2006/126 verfolgten Ziels, das in der Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr besteht, angemessen und erforderlich ist.

EuGH, Urt. v. 29.4.2021 – Rs C-47/20

Sachverhalt

Der deutsche Staatsangehörige F., der seinen ordentlichen Wohnsitz in Spanien hat, besitzt seit 1992 einen spanischen Führerschein (Kategorien A und B). Wegen einer Trunkenheitsfahrt in Deutschland wurde ihm wegen fehlender Fahreignung für 14 Monate das Recht aberkannt, dort mit diesem Führerschein zu fahren. Außerdem wurde ihm eine Sperrfrist von 14 Monaten auferlegt, während der er keinen neuen Führerschein beantragen durfte. Während dieser Sperrfrist und an deren Ende erneuerten die spanischen Behörden den Führerschein von F. mehrmals und stellten ihm neue Dokumente aus.

Einige Jahre nach Ablauf der Sperrfrist beantragte F. bei der Stadt Karlsruhe die Gültigkeit seines spanischen Führerscheins anzuerkennen. Die Stadt Karlsruhe wies diesen Antrag zurück, weil sie der Auffassung war, dass F. nach deutschem Recht ein medizinisch-psychologisches Gutachten vorlegen müsse, um die Zweifel an seiner Fahreignung auszuräumen. Er habe nämlich in Spanien keinen neuen Führerschein erhalten, dessen Gültigkeit gemäß der Richtlinie über den Führerschein (Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.12.2006 über den Führerschein, ABl 2006, L403, S. 18) anerkannt werden müsse, sondern nur Dokumente, mit denen sein ursprünglicher Führerschein habe erneuert werden sollen.

Das mit dem Rechtsstreit befasste BVerwG hat dem EuGH Fragen zur Tragweite des in der Richtlinie vorgesehenen Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung von Führerscheinen vorgelegt (vgl. BVerwG, Beschl. v. 10.10.2019 – 3 C 20.17, zfs 2019, 602, Pressemitteilung).

2 Aus den Gründen:

"… Zur Vorlagefrage"

[25] Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 Unterabs. 2 der Richtlinie 2006/126 dahin auszulegen sind, dass sie es einem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet dem Inhaber eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheins der Klassen A und B wegen einer Zuwiderhandlung, die bei einem vorübergehenden Aufenthalt in diesem Hoheitsgebiet nach der Ausstellung dieses Führerscheins stattgefunden hat, und wegen des sich daraus gemäß den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats ergebenden Fehlens der Fahreignung das Recht, zu fahren, aberkannt wurde, verwehren, später die Anerkennung der Gültigkeit dieses Führerscheins abzulehnen, nachdem dieser gem. Art. 7 Abs. 3 dieser Richtlinie vom Mitgliedstaat, in dem sich der ordentliche Wohnsitz i.S.v. Art. 12 Abs. 1 dieser Richtlinie des Inhabers dieses Führerscheins befindet, erneuert wurde.

[26] Nach st. Rspr. sieht Art. 2 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vor. Diese Bestimmung erlegt den Mitgliedstaaten eine klare und unbedingte Verpflichtung auf, die keinen Ermessensspielraum in Bezug auf die Maßnahmen einräumt, die zu erlassen sind, um ihr nachzukommen (Urt. v. 23.4.2015, Aykul, C-260/13 [zfs 2015, 355 =] EU:C:2015:257, Rn 45 und die dort angeführte Rspr., sowie v. 28.10.2020, Kreis Heinsberg, C-112/19 [zfs 2021, 233=] EU:C:2012:864, Rn 25 und die dort angeführte Rspr.).

[27] Zudem geht aus der Rspr. des Gerichtshofs hervor, dass es Aufgabe des Ausstellermitgliedstaats ist, zu prüfen, ob die im Unionsrecht aufgestellten Mindestvoraussetzungen, insb. die Voraussetzungen in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2006/126 hinsichtlich des Wohnsitzes und der Fahreignung, erfüllt sind und ob somit die Erteilung einer Fahrerlaubnis gerechtfertigt ist (Urt. v. 23.4.2015, Aykul, C-260/13 ...

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