„1. Der Kl. kann von der Bekl. auf der Grundlage des Fahrzeugversicherungsvertrags vom Januar 2009 gem. §§ 83 Abs. 1, 82 Abs. 1 und 2, 90 VVG Erstattung des hälftigen bei dem Verkehrsunfall vom 6.9.2009 entstandenen – der Höhe nach unstreitigen – Fahrzeugschadens verlangen. …

b. Ein Anspruch des Kl. auf (teilweise) Erstattung des Fahrzeugschadens ist indessen unter dem Aspekt des Rettungskostenersatzes gem. §§ 83, 82, 90 VVG begründet …

(1) Gem. § 83 Abs. 1 VVG hat der Versicherer Aufwendungen des (VN nach § 82 Abs. 1 und 2 VVG, welche dieser zur Schadensabwendung oder -minderung tätigt, auch wenn sie erfolglos geblieben sind, insoweit zu erstatten, als der VN sie den Umständen nach für geboten halten durfte. § 90 VVG erklärt diese Vorschriften für entsprechend anwendbar auf solche Aufwendungen, die zeitlich vor dem Eintritt eines unmittelbar bevorstehenden Versicherungsfalls gemacht wurden, um ihn abzuwenden oder in seinen Auswirkungen zu mindern. Damit wurde die im Zusammenhang mit den §§ 62, 63 VVG a.F. umstrittene “Vorerstreckungstheorie’ im Bereich des Sachversicherungsrechts gesetzlich anerkannt. “Aufwendung’ ist jede auch unfreiwillige Vermögensminderung, welche adäquate Folge einer Maßnahme ist, die der VN zur Schadensabwehr oder -minderung gemacht hat. Grundsätzlich kommen hierfür auch – wie vorliegend geltend gemacht – Vermögensminderungen wegen der Beschädigung von Sachen in Betracht …

(2) Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Entschädigung für die Unfallschäden auf der Grundlage der §§ 83 Abs. 1, 90 VVG sind erfüllt.

(a) Der VN trägt die Beweislast dafür, dass die entstandenen Schäden im Zusammenhang mit der Abwendung eines unmittelbaren bevorstehenden Versicherungsfalls im Sinne des § 90 VVG entstanden sind … Dieser Nachweis ist dem Kl. gelungen. Auf Grund seiner glaubhaften und plausiblen Angaben und seinem glaubwürdigen Auftreten in der informatorischen Anhörung am 15.12.2010 ist der Senat davon überzeugt, dass sich unmittelbar vor dem Unfall ein Tier auf der Fahrbahn befunden hat und der Kl. diesem mit einer letztlich außer Kontrolle geratenen Lenkbewegung hat ausweichen wollen, wodurch ein Versicherungsfall im Sinne eines Tierunfalls (§ 12 (1) d) AKB) vermieden werden sollte.

(b) Das LG hat hierzu keine den Senat gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO bindenden Feststellungen getroffen …

(c) Der Senat kann die Tatsachengrundlage deshalb insoweit unabhängig von der erstinstanzlichen Entscheidung prüfen und beurteilen.

Objektive Spuren, die ein Ausweichen zur Vermeidung einer bevorstehenden Kollision des Fahrzeugs mit einem Reh oder einem Hasen belegen würden, sind nicht vorhanden. Die Tatsache, dass in einer Entfernung von 500 m zur Unfallstelle der Kadaver eines Hasen lag, ist nicht geeignet, einen Zusammenhang mit dem Unfall herzustellen. Wie oben ausgeführt, steht ein Zusammenstoß mit einem Tier nicht fest. Ein überfahrener Hase kann aber nichts mit einem Ausweichmanöver, bei dem ein Zusammenstoß vermieden worden wäre, zu tun haben. Der Kl. kann sich deshalb im Wesentlichen lediglich auf seine eigenen Angaben berufen.

i. Beweiserleichterungen kommen ihm nicht zugute. Insb. sind die von der Rspr. entwickelten Regeln der Überzeugungsbildung in den Fällen der Behauptung des Versicherungsfalls “Diebstahl’ auf den Versicherungsfall “vermiedener Tierschaden’ nicht übertragbar … (Senat zfs 2002, 143; ebenfalls Beweiserleichterungen für behauptete Ausweichmanöver vor Tieren verneinend: OLG Thüringen NVersZ 2000, 33; OLG Düsseldorf zfs 2000, 493; OLG Hamm VersR 1990, 1387).

ii. Das bedeutet aber nicht, dass dem VN, dem keine objektiven Beweismittel oder Zeugen für das eigentliche Geschehen zur Verfügung stehen, der Nachweis, dass der Unfall auf ein Ausweichmanöver wegen eines Tieres zurückzuführen ist, abgeschnitten wäre. Es ist ihm unbenommen, mögliche Indizien vorzutragen und nachzuweisen. So ist etwa von Bedeutung, ob es an Ort und Stelle des Unfalls häufiger zu Wildwechsel kommt. Ebenso ist von Belang, ob das Unfallgeschehen plausibel mit dem Ausweichen vor einem plötzlich auftretenden Hindernis erklärt werden kann und inwieweit andere Ursachen des Verkehrsunfalls – eine Alkoholisierung oder ein grob fehlerhaftes Fahrverhalten – auszuschließen sind. All dies, einschließlich einer Anhörung des VN, kann Grundlage der Überzeugungsbildung sein, weil § 286 ZPO den Beweis eines Geschehens nicht davon abhängig macht, dass er sich aus einem abschließenden Kanon von Beweismitteln ergibt. Die Überzeugungsbildung kann sich dann durchaus auch einmal wesentlich auf die Angaben des VN selbst stützen, ohne dass dadurch die materielle Beweislast für den Versicherungsfall oder das Beweismaß verändert würde (Senat zfs 2002, 143; OLG Thüringen, NVersZ 2000, 33).

iii. Unter Berücksichtigung dessen ist das Beweismaß § 286 ZPO im Hinblick auf die Unfallschilderung des Kl. im vorliegenden Fall erreicht.

Der Kl. war nicht alkoholisiert, Anhaltspunkte für eine – von der Bekl. auch nicht behauptete – überhöhte Geschwindigkeit bestehen nic...

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