Der immaterielle Schaden lag den Vätern des BGH ersichtlich weniger am Herzen – ob Mütter das anders gesehen hätten, sei hier dahingestellt. Jedenfalls ist die grundsätzlich restriktive Haltung des BGB gegenüber dem immateriellen Schaden immer wieder kritisiert und veralteten, von kaufmännischem Denken beseelten Vorstellungen zugeschrieben worden. Die Gesetzesmaterialien ergeben kein einheitliches Bild – interessant ist immerhin, dass nach dem ALR (I 6 §§ 112, 113) nur Personen vom Bauern- oder gemeinen Bürgerstand wegen "Verletzung aus grobem Vorsatz oder Versehen" ein billiges Schmerzensgeld fordern konnten, das der Höhe nach an die "Curkosten" geknüpft war. Die höheren Stände brauchten so etwas wohl nicht. Auch wenn solche feudalen Vorstellungen schon bei Entstehung des BGB überholt waren, kommt in den Materialen klar zum Ausdruck, dass bei der Regelung des Nicht-Vermögensschadens unerwünschte Ausuferungen vermieden werden sollten.

Deshalb wurde der Anspruch in § 847 Abs. 1 S. 1 BGB an die Verletzung bestimmter Rechtsgüter geknüpft, wobei auch keineswegs alle absoluten Rechtsgüter des § 823 Abs. 1 BGB genannt waren. Vielmehr konnte der Verletzte nur im Fall der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit oder im Fall der Freiheitsentziehung auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden war, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Es ist offensichtlich, dass es diese Beschränkung auf Rechtsgüter mit körperlichem Bezug war, die dem Anspruch die landläufige Bezeichnung als "Schmerzensgeld" eingebracht hat, die das BGB selbst nicht verwendet. Jedenfalls zeigt sich deutlich eine einschränkende Tendenz gegenüber dem materiellen Schadensersatz, zu dem § 823 Abs. 1 BGB zusätzlich auch bei der Verletzung von Leben, Eigentum oder eines sonstigen Rechts verpflichtet.

Nach § 847 Abs. 1 S. 1 BGB gab es also Schmerzensgeld nur bei Verletzung von Körper, Gesundheit oder Freiheit, wobei der Anspruch nach S. 2 nicht übertragbar war und nicht auf die Erben überging, es sei denn, dass er durch Vertrag anerkannt oder rechtshängig geworden war.

Ein solcher Anspruch stand nach Absatz 2 aber auch – ich zitiere wörtlich aus meinem alten Schönfelder – "einer Frauensperson zu, gegen die ein Verbrechen oder Vergehen gegen die Sittlichkeit begangen oder die durch Hinterlist (…) zur Gestattung der außerehelichen Beiwohnung bestimmt wird". Dass es diese Vorschrift bis zur Reform des Schadensersatzrechts im Jahr 2002 gegeben hat, ist kaum zu glauben und hätte vielleicht die "Me too"-Debatte anreichern können. In der Rechtspraxis hat sie schon zu meiner Zeit keine Rolle mehr gespielt und ist jedenfalls von der Reform hinweggefegt worden.

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