StVG § 17; StVO § 4

Leitsatz

1) Bei Kettenauffahrunfällen spricht hinsichtlich der Frontschäden kein Anscheinsbeweis gegen den Auffahrenden, da insoweit ein typischer Geschehensablauf nicht feststellbar ist.

2) Ist ein Aufschieben deutlich wahrscheinlicher als ein Auffahren, ist der Hintermann für den gesamten Heck- und Frontschaden des mittleren Fahrzeuges mitverantwortlich.

3) Ist die Verursachung des Frontschadens durch den Auffahrenden nicht weniger als die Entstehung des Frontschadens unabhängig vom Heckanstoß, wird der gegen den Auffahrenden begründete Schadensersatzanspruch im Totalschadensfall durch die quotenmäßige Aufteilung des Gesamtschadens gemessen am Verhältnis der jeweiligen Reparaturkosten ermittelt.

4) Ist die Beteiligung des Hintermannes an dem Frontschaden weniger wahrscheinlich, haftet der Hintermann nur für den ihm sicher zuzurechnenden Heckschaden.

(Leitsätze der Schriftleitung)

LG Saarbrücken, Urt. v. 7.9.2018 – 13 S 43/17

Sachverhalt

Der Ehemann der Kl. fuhr mit deren Pkw, einem VW, auf der linken Fahrspur der Autobahn. Vor ihm fuhren auf der linken Fahrspur ein Mercedes der C-Klasse und ein BMW der 7er-Reihe. Der Fahrer des BMW hatte kurz zuvor rechts den Mercedes überholt und sich links vor diesen gesetzt. Der Fahrer des Mercedes überholte den BMW rechts und setzte sich auf der linken Fahrspur vor den BMW. Dessen Fahrer wurde hierdurch zu einer Vollbremsung gezwungen, was den Fahrer des Fahrzeuges der Kl. zu einer Vollbremsung zwang. Hierdurch fuhr der Erstbeklagte mit seinem Kfz, einem Opel Corsa, auf das Heck des Fahrzeuges der Kl. auf. Das Fahrzeug der Kl. fuhr wiederum auf das Heck des BMW auf. Am Fahrzeug der Kl. entstanden Schäden im Heck- und Frontbereich, die teilweise von dem Haftpflichtversicherer des Bekl. zu 1) dem Bekl. zu 2) reguliert wurden.

Mit der Klage hat die Kl. den nicht regulierten Teil ihres Schadens und weitere vorgerichtliche Anwaltskosten geltend gemacht. Zum Hergang des Unfalls hat sie behauptet, ihr Ehemann habe ihr Fahrzeug rechtzeitig vor einer Kollision abbremsen können und sei erst nach dem Stillstand von dem Fahrzeug des Bekl. zu 1) auf das Heck des BMW aufgeschoben worden. Die Bekl. zu 2), die auf der Grundlage einer Haftungsquote von 80 % die Sachschäden reguliert hat, behauptet, das Fahrzeug der Kl. sei ohne Mitwirkung des Fahrzeuges des Bekl. zu 1) auf das Heck des BMW aufgefahren. Der hierdurch verkürzte Bremsweg des Fahrzeuges des Bekl. zu 1) sei dafür verantwortlich gewesen, dass das Fahrzeug des Bekl. zu 1) auf das Fahrzeug der Kl. aufgefahren sei. Das AG hat nach Beweisaufnahme der Klage lediglich i.H.v. 368,68 EUR stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, die Kl. habe nicht den Nachweis erbracht, dass auch der Frontschaden an ihrem Kfz allein auf dem Heckanstoß durch das Fahrzeug des Bekl. zu 1) beruht habe.

Die Berufung der Kl. hatte überwiegend Erfolg.

2 Aus den Gründen:

"… Die zulässige Berufung der Kl. ist überwiegend begründet."

1. Zu Recht ist das Erstgericht allerdings zunächst davon ausgegangen, dass sowohl die Bekl. als auch die Kl. grds. für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gem. §§ 7, 17 Abs. 1, 2 StVG i.V.m. § 115 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kfz entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis i.S.d. § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Auf die Frage, ob der Zeuge (…) das klägerische Fahrzeug rechtzeitig zum Stehen gebracht hat und erst durch den Heckanstoß des Beklagtenfahrzeugs auf das Fahrzeug des Zeugen (…) aufgeschoben worden ist, kommt es insoweit nicht an. Denn es kann nicht ausgeschlossen werden, dass ein Idealfahrer an Stelle des Zeugen (…) bereits im Vorfeld durch ein rechtzeitiges Herabsetzen der Geschwindigkeit oder einen größeren Abstand zu dem BMW des Zeugen (…) und dem Mercedes, die sich wechselseitig rechts überholt hatten, oder ggf. durch einen frühzeitigen Wechsel auf die rechte Fahrspur eine Vollbremsung hätte vermeiden und dadurch den Unfall mit dem Erstbeklagten verhindern können. Diese Zweifel gehen zulasten der Kl. (BGH, st. Rspr.; vgl. nur Urt. v. 13.5.1969 – VI ZR 270/67, VersR 1969, 827 und v. 13.12.2005 – VI ZR 68/04, VersR 2006, 369).

2. Im Rahmen der danach gebotenen Haftungsabwägung gem. § 17 Abs. 1, 2 StVG ist der Erstrichter davon ausgegangen, dass der Erstbeklagte die Kollision mit dem klägerischen Fahrzeug durch einen Verstoß gegen die Pflicht zur Einhaltung eines ausreichenden Sicherheitsabstandes verursacht hat (§ 4 Abs. 1 S. 1 StVO, zum Sicherheitsabstand auf Autobahnen vgl. nur BGH, Urt. v. 9.12.1986 – VI ZR 138/85, VersR 1987, 358). Dies steht in der Berufung nicht im Streit.

3. Auch soweit der Erstrichter aufgrund des Verkehrsverstoßes des Erstbeklagten von einer Alleinverantwortung der Bekl. hinsichtlich des Heckanstoßes und einer Alleinhaftung der Bekl. für den dadurch eingetretenen Heckschaden am klägerischen Fahrzeug ausgegangen ist, wird dies von den Parteien in der Berufung hingenommen....

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