„ … [9] II. Die Revision des Bekl. ist begründet. Die Entscheidungen des VGH und des VG stehen nicht im Einklang mit Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO).

[10] Die Anordnung an den Kl., an einem Aufbauseminar teilzunehmen, ist zu Recht ergangen. Die nach § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StVG für eine solche Anordnung erforderliche Punktzahl war zum für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der behördlichen Maßnahme (vgl. zu einer Verwarnung nach § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 StVG: Urt. v. 25.9.2008 – BVerwG 3 C 3.07 – [zfs 2009, 113 =] BVerwGE 132, 48 <52>) erreicht; danach hat die Fahrerlaubnisbehörde die Teilnahme an einem Aufbauseminar nach Abs. 8 anzuordnen, wenn sich 14, aber nicht mehr als 17 Punkte ergeben. Der Bekl. ging beim Erlass seiner Anordnung zutreffend von einem Stand von 16 Punkten aus; denn bei der Berechnung des Punktestandes waren auch die vor dem Fahrerlaubnisverzicht des Kl. im Verkehrszentralregister eingetragenen Entscheidungen und die daraus resultierenden Punkte zu berücksichtigen. Der Verzicht des Kl. auf seine Fahrerlaubnis hatte keine Löschung von Punkten gem. § 4 Abs. 2 S. 3 StVG zur Folge. Danach werden, wenn die Fahrerlaubnis entzogen oder eine Sperre (§ 69a Abs. 1 S. 3 des Strafgesetzbuches) angeordnet worden ist, die Punkte für die vor dieser Entscheidung begangenen Zuwiderhandlungen gelöscht. Diese Regelung kann weder durch analoge Anwendung noch – wie das BG meint – im Wege einer verfassungskonformen Auslegung auf Fälle eines Fahrerlaubnisverzichtes erstreckt werden.

[11] 1. Eine Anwendung von § 4 Abs. 2 S. 3 StVG scheidet nicht bereits deshalb aus, weil dem Kl. ohne seinen Verzicht die Fahrerlaubnis nicht gem. § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG wegen des Erreichens von mindestens 18 Punkten im Verkehrszentralregister, sondern nach § 11 Abs. 8 FeV wegen Nichtvorlage eines zu Recht angeforderten medizinisch-psychologischen Gutachtens entzogen worden wäre. § 4 Abs. 2 S. 3 StVG beschränkt schon nach seinem Wortlaut die dort vorgesehene Löschung von Punkten nicht auf “punktsysteminterne‘ Fahrerlaubnisentziehungen nach § 4 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 StVG. Zusätzlich verdeutlicht die Gesetzesbegründung, dass von der Regelung auch andere als durch den Punktestand bedingte Fahrerlaubnisentziehungen wegen fehlen der Fahreignung erfasst werden sollen (BRDrucks 821/96 S. 72)

[12] 2. Die rechtlichen Voraussetzungen für eine analoge Anwendung von § 4 Abs. 2 S. 3 StVG auf Verzichtsfälle sind jedoch nicht erfüllt, weil es insoweit an einer nicht beabsichtigten (planwidrigen) Regelungslücke fehlt. Der Gesetzgeber hat, wie auch das BG zutreffend erkannt hat, die Löschung von Punkten in § 4 Abs. 2 S. 3 StVG bewusst auf die Fälle einer Entziehung der Fahrerlaubnis sowie einer Sperre nach § 69a Abs. 1 S. 3 StGB beschränkt. Dass der Fahrerlaubnisinhaber seine Fahrberechtigung außerdem auch durch einen Verzicht verlieren kann, hat er dabei nicht übersehen. So heißt es in der Gesetzesbegründung ausdrücklich, dass es zur Löschung der Punkte nur im Fall der Entziehung, nicht aber beim Verzicht auf die Fahrerlaubnis kommt (BRDrucks 821/96 S. 72). Darüber hinaus hat der Gesetzgeber in § 4 StVG einen Verzicht auf die Fahrerlaubnis an anderer Stelle durchaus berücksichtigt und dort – anders als hier – jedenfalls bestimmten Fällen einer Fahrerlaubnisentziehung gleichgestellt. So ist gem. § 4 Abs. 11 S. 2 StVG vor der Neuerteilung einer Fahrerlaubnis die Teilnahme an einem Aufbauseminar nicht nur in den Fällen der Entziehung der Fahrerlaubnis, sondern unter anderem auch dann nachzuweisen, wenn der Betroffene einer solchen Entziehung durch den Verzicht auf die Fahrerlaubnis zuvorgekommen ist.

[13] 3. Entgegen der Auffassung des BG zwingt Art. 3 Abs. 1 GG nicht zu einer erweiternden verfassungskonformen Auslegung der Löschungsregelung; die vom Gesetzgeber in § 4 Abs. 2 S. 3 StVG vorgesehene Differenzierung zwischen einem Verzicht auf die Fahrerlaubnis und deren Entziehung ist sachlich gerechtfertigt.

[14] Die Fahrerlaubnisentziehung und der Verzicht auf die Fahrerlaubnis sind eigenständige Verlusttatbestände. Während die Fahrerlaubnisentziehung an bestimmte rechtliche Voraussetzungen anknüpft, namentlich an die von der Fahrerlaubnisbehörde oder von einem Strafgericht festgestellte mangelnde Kraftfahreignung des Betroffenen, ist der Verzicht nicht in derselben Weise rechtlich gebunden, sondern hängt allein von der Willensentschließung des Betroffenen ab. Dessen Entscheidung kann von sehr unterschiedlichen Motiven getragen sein; sie können von der eigenen Einsicht in die mangelnde Kraftfahreignung, etwa aus Altersgründen oder wegen gesundheitlicher Mängel, bis hin zu der Absicht reichen, die negativen Folgewirkungen einer Fahrerlaubnisentziehung zu vermeiden. So darf gem. § 4 Abs. 10 S. 1 StVG eine neue Fahrerlaubnis frühestens sechs Monate nach Wirksamkeit der Entziehung nach Abs. 3 S. 1 Nr. 3 erteilt werden; nach § 4 Abs. 10 S. 3 StVG ist unbeschadet der sonstigen Voraussetzungen für die Erteilung der Fahrerlaubnis zum...

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