A. Einleitung

Innerhalb der betroffenen Gerichtsdezernate, der Betreuungsbehörden, der Betreuungsvereine, bei den Krankenhäusern und bei den Betreuungsvereinen waren die letzten Monate vor dem großen Reformwurf des Vormundschafts- und Betreuungsrechts zum 1.1.2023[2] davon geprägt, die gesetzlichen Neuerungen im BGB, im BtOG, in der ZPO und anderenorts zu erfassen, kennen zu lernen, zu begreifen und in die Praxis umzusetzen. Ob die Reform mit all ihren Vorsätzen und Zielen gelingen wird, ob die Ungenauigkeiten der großen Reform für Konfusion im Rechtsalltag sorgen werden, wie die vielen bislang unbekannten Aspekte in die Praxis, in Formulare und Abläufe umgesetzt werden, sind wichtige Fragen für Juristen, die im Betreuungsrecht tätig sind, aber: das alles war bisher kein Thema, das für Verkehrsrechtler von Relevanz wäre. Wann hat man es schon mit unter Betreuung stehenden Personen zu tun? Fahren die denn überhaupt Auto? Doch das mit der Reform neu geschaffene Ehegattennotvertretungsrecht[3] nach § 1358 BGB n.F. sollte auch im Verkehrszivilrecht aufmerksam beobachtet werden. Denn dieses Instrument dient nicht nur der Entlastung der Gerichte, sondern bringt ganz neue rechtliche Probleme mit sich. Und: Der Unfallgeschädigte bzw. seine Angehörigen könnten in der konkreten Situation, je nach Schwere der Beeinträchtigungen des Geschädigten, Beratungsbedarf über die Unfallregulierung und Einleitung von Reha-Maßnahmen hinaus haben. Wenn der angerufene oder aufgesuchte Anwalt in dieser Situation nicht über die dem Ehegatten des Geschädigten in der konkreten Situation nunmehr zustehenden Rechte informiert ist, drohen Zeitverlust und noch dazu eine Fehlberatung.

[2] Dazu BGBl I 2021, 882.
[3] Beiträge hierzu z.B. Kemper, FamRB 2021, 260; Szantay, NZFam 2021, 805; Palsherm, jM 2022, 454; Kraemer, BtPrax 2021, 208; Finger, FuR 2022, 571; Götsche, FuR 2022, 506; Mazur/Ziegler, GuP 2022, 41; Lugani, MedR 2022, 91; Spickhoff, FamRZ 2022, 1897.

B. Bisherige Rechtslage

Unterstellt man nach einem Verkehrsunfall eine schwere körperliche und gesundheitliche Schädigung des Verletzten, der daraufhin, mglw. bewusstlos oder komatös oder schlicht sprach- und handlungsunfähig wenngleich bei Bewusstsein ist, so wäre der erste Gedanke sicherlich: alles Weitere regelt im Krankenhaus der Ehegatte. Diesem Trugschluss unterliegen nach wie vor viele Privatpersonen, Ärzte, aber auch Juristen. Die wechselseitigen Befugnisse der Ehegatten, gerade was den höchstpersönlichen Bereich des jeweils anderen angeht, sind gesetzlich überschaubar. Liest man die §§ 1353 ff. BGB einmal kursorisch durch, so stellt man rasch fest, dass vornehmlich Vermögensfragen, Ansprüche untereinander oder auch das Auftreten im Geschäftsverkehr thematisiert werden. Jedoch werden elementare Angelegenheiten wie die ärztliche Behandlung, die einer Operation nachfolgende Pflege und Rehabilitationsmaßnahmen, alle Absprachen und Informationen hierzu oder gar freiheitsbeschränkende Maßnahmen zur Sicherung des Behandlungserfolgs bisher nicht von den im BGB geregelten familienrechtlichen Vorschriften geregelt. Einzig in Notsituationen wurde bislang eine Mitverpflichtung des Ehegatten über § 1357 BGB bejaht: Eine medizinisch indizierte, unaufschiebbare ärztliche Behandlung dient unabhängig von der Höhe der Kosten grds. der angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie.[4] Doch dies betrifft vornehmlich die Frage, wo das Krankenhaus seine Leistungen liquidieren kann, nicht aber, welche weiteren Rechte und Entscheidungsbefugnisse dem Ehegatten zustehen.

Liegt also keine Vollmacht vor, in welcher die Ehegatten sich – in weiser Voraussicht – in betreuungsähnlicher und vor allem betreuungsvermeidender Art und Weise wechselseitig dazu ermächtigen, die entsprechenden Entscheidungen in der Gesundheitssorge für den jeweils anderen zu treffen, so konnte nur mittels betreuungsgerichtlicher Eilmaßnahmen, § 1846 BGB (§ 1867 BGB n.F.), oder durch die Errichtung einer vorläufigen gesetzlichen Betreuung, § 1896 BGB (§ 1814 BGB n.F.) i.V.m. § 300 FamFG, für den handlungsunfähigen Geschädigten fortan agiert werden. Natürlich wird in der Regel der Ehepartner als vorläufiger Betreuer durch Krankenhaus und Betreuungsbehörde vorgeschlagen und dann vom Gericht bestimmt. Aber der bloße Umstand, dass man verheiratet ist, berechtigt eben im Hinblick auf rasch zu treffende medizinische Entscheidungen oder selbst die Herausgabe von Informationen zum Gesundheitszustand zu gar nichts.

[4] BGHZ 94, 1 (6) = NJW 1985, 1394 (1395); BGHZ 116, 184 (187) = NJW 1992, 909 (910).

C. Neuregelung in § 1358 BGB ab dem 1.1.2023

Nunmehr soll ein neues Ehegattennotvertretungsrecht in entsprechenden gesundheitlich kritischen Situationen das bisherige Dilemma vermeiden und dem Ehegatten zeitlich und inhaltlich begrenzte Entscheidungsbefugnisse verschaffen. Die hierfür geschaffene Lösung lautet im Wortlaut zunächst wie folgt:

Zitat

§ 1358

Gegenseitige Vertretung von Ehegatten in Angelegenheiten der Gesundheitssorge

(1) Kann ein Ehegatte aufgrund von Bewusstlosigkeit oder Krankheit seine Angelegenheiten der Gesundhe...

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