Zitat

1. Dem Kl. steht gegen den Bekl. aus dem Vollkaskoversicherungsvertrag ein Anspruch auf Zahlung eines Betrages i.H.v. 13.600,00 EUR zu.

a) Das Gericht ist aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme mit der nach § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit davon überzeugt, dass das klägerseits behauptete Unfallereignis am … auf der Autobahn … stattgefunden hat. (wird ausgeführt)

b) Die Bekl. ist auch nicht nach E. 2.1 AKB i.V.m. § 28 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei. Ein Verstoß des Kl. gegen die in E. 1.1.3 AKB statuierte vertragliche Obliegenheit liegt nicht vor. Danach darf der VN den "Unfallort nicht verlassen, ohne die gesetzlich erforderlichen Feststellungen zu ermöglichen und die dabei gesetzlich erforderliche Wartezeit zu beachten (Unfallflucht)."

Diese Voraussetzungen, für die die Bekl. darlegungs- und beweispflichtig ist (…), sind nicht erfüllt. Zunächst hat der Bekl. bereits nicht dargelegt, dass es vorliegend überhaupt zu einem erheblichen Fremdschaden an den Leitplanken gekommen ist (vgl. OLG Düsseldorf VersR 1993, 1142; OLG Karlsruhe VersR 1995, 696 – jedenfalls ab 100 EUR zu bejahen). Denn insoweit hat der Bekl. lediglich behauptet, dass an den Leitplanken korrespondierende (sichtbare) Beschädigungen vorhanden seien und eine für die Leitplanken schadenfreie Kollision hingegen ausgeschlossen sei, was für sich genommen noch nichts darüber aussagt, ob es sich um eine erhebliche Beschädigung handelt.

Unabhängig davon, liegen aber auch die weiteren Voraussetzungen des § 142 Abs. 1 StGB nicht vor.

Dass unmittelbar nach dem Unfall feststellungsbereite Personen an der Unfallstelle gewesen wären – mithin ein Verstoß gegen § 142 Abs. 1 Nr. 1 StGB vorgelegen hätte – wird beklagtenseits nicht vorgebracht. Soweit der Bekl. ferner lediglich bestreitet, dass der Kl. bis zum Eintreffen des ADAC ca. 45 Minuten an der Unfallstelle gewartet hat, so hat der insoweit für einen etwaigen Verstoß gegen § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB darlegungs- und beweisbelastete Bekl. einen Wartepflichtverstoß des Kl. bereits nicht dargelegt und ist jedenfalls beweisfällig geblieben. Zudem hat die durchgeführte Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass der Kl. bis zum Eintreffen des ADAC mindestens 30 Minuten an der Unfallstelle gewartet hat, sodass auch aus diesem Gesichtspunkt (positiv) von der Einhaltung der "gesetzlich erforderlichen Wartezeit" auszugehen ist.

Entgegen der Auffassung des Bekl. war der Kl. insbesondere auch nicht dazu verpflichtet, sich vor Verlassen des Unfallorts (aktiv) bei der Polizei zu melden, wenn – wie hier – innerhalb der Wartefrist des § 142 Abs. 1 Nr. 2 StGB keine feststellungsbereiten Personen eintreffen. Denn eine solche Verpflichtung ist den streitgegenständlichen Versicherungsbedingungen nicht zu entnehmen.

AVB sind so auszulegen, wie ein durchschnittlicher VN sie bei verständiger Würdigung, aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinnzusammenhanges verstehen muss (…). Dabei kommt es auf die Verständnismöglichkeiten eines VN ohne versicherungsrechtliche Spezialkenntnisse und damit auch auf seine Interessen an. In erster Linie ist vom Wortlaut der jeweiligen Klausel auszugehen. Der mit dem Bedingungswerk verfolgte Zweck und der Sinnzusammenhang der Klauseln sind zusätzlich zu berücksichtigen, soweit sie für den VN erkennbar sind.

Die entsprechenden Klauseln der AKB sind dahingehend auszulegen, dass derjenige, der durch das Verlassen der Unfallstelle den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 142 StGB ("unerlaubtes Entfernen vom Unfallort") erfüllt, grundsätzlich auch seine Aufklärungsobliegenheit in der Kaskoversicherung verletzt (BGH NJW-RR 2000, 553). Eine darüber hinausgehende Reichweite der Obliegenheiten des VN ergibt sich aus den vorgenannten Klauseln der AKB hingegen nicht. Zwar begründet E.1.1.3 AKB eine eigenständige Aufklärungspflicht.

Deren Reichweite ist jedoch nach dem Verständnishorizont eines durchschnittlichen VN zu ermitteln. Ein solcher wird die vertragliche Pflicht, den Unfallort nicht vor Ermöglichung der erforderlichen Feststellungen zu verlassen und die gesetzlich erforderliche Wartezeit einzuhalten, auf den Straftatbestand des § 142 Abs. 1 StGB beziehen.

Die Formulierung in den AKB 2015 des Bekl. knüpft an den Tatbestand der Unfallflucht gemäß § 142 Abs. 1 StGB an, indem der Fahrer verpflichtet wird, den Unfallort nicht zu verlassen, ohne die "gesetzlich erforderlichen" Feststellungen zu ermöglichen und dabei auch die "gesetzlich erforderliche Wartezeit" zu beachten. Auch der Hinweis auf die "Unfallflucht" lässt für einen verständigen VN den Schluss zu, dass sich seine versicherungsrechtlichen Obliegenheiten mit den an ihn gestellten strafrechtlichen Verhaltensanforderungen nach § 142 Abs. 1 StGB decken und ihm versicherungsrechtlich keine weitergehenden Pflichten auferlegt werden.

Er darf deshalb davon ausgehen, seinen Aufklärungsobliegenheiten gerecht zu werden, wenn er – wie hier – den strafrechtlich sanktionierten Handlungspflichten, die als...

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