Nach Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG kommt eine teilweise Anrechnung der Geschäftsgebühr nach Nr. 2300 VV RVG zur Hälfte auf die Verfahrensgebühr des gerichtlichen Verfahrens nur dann in Betracht, wenn die beiden Gebühren wegen desselben Gegenstandes entstanden sind. Ob derselbe Gegenstand dann vorliegt, wenn der Rechtsanwalt vorprozessual und im Rechtsstreit gegen verschiedene Anspruchsgegner vorgeht, ist umstritten:

Nach der bisher wohl nur vom OLG Karlsruhe AGS 1994, 43 mit abl. Anm. Chemnitz = zfs 1994, 343 und dem LG Karlsruhe RPfleger 1994, 40 vertretenen Auffassung handelt es sich auch dann um denselben Gegenstand, wenn der Geschädigte durch seinen Anwalt außergerichtlich mit der Kfz-Haftpflichtversicherung des Unfallgegners verhandelt, den Haftpflichtprozess jedoch dann nur gegen den Unfallgegner und nicht auch gegen dessen Versicherung führt.

Nach der Gegenauffassung ist in einem solchen Fall nicht derselbe Gegenstand gegeben, so dass eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr ausscheidet, so OLG München JurBüro 1989, 369 = AnwBl. 1990, 325 mit Anm. Madert und AnwBl. 1991, 55 mit Anm. Klimke = zfs 1990, 267; OLG Bamberg OLGR 1998, 121; LG Flensburg JurBüro 1986, 723; LG Frankfurt/Main JurBüro 1982, 873 = AnwBl. 1982, 318 = zfs 1982, 270; AG Charlottenburg zfs 1987, 112 (alle für § 31 Abs. 1 Nr. 1 und § 118 Abs. 2 BRAGO); Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 19. Aufl. Vorbem. 3 VV RVG Rn 193; AnwaltsKomm-RVG/Onderka/N. Schneider, 6. Aufl., Vorbem. 3 VV RVG Rn 227.

Das OLG München hat sich unter Aufgabe seiner bisherigen Auffassung in JurBüro 1989, 369 der Minderansicht angeschlossen und dies damit begründet, bei der Regelung von Kfz-Haftpflichtschäden, bei der der Schädiger gegen die Haftpflichtversicherung des Geschädigten einen Direktanspruch hat, liege nach überwiegender Auffassung derselbe Gegenstand i.S.v. Vorbem. 3 Abs. 4 VV RVG vor. Die hierzu vom OLG München herangezogenen Belege stützen diese Auffassung jedoch nicht. Gerold/Schmidt/Müller-Rabe a.a.O. Nr. 1008 VV RVG Rn 150, erörtert dort lediglich den Fall, dass mehrere Auftraggeber als Gesamtschuldner in Anspruch genommen werden. Der vom OLG München herangezogene Beschl. des BGH RVGreport 2006, 34 (Hansens) = zfs 2006, 265 mit Anm. Hansens = NJW 2006, 774 befasst sich mit der Erstattungsfähigkeit von Umsatzsteuer im Verkehrshaftpflichtprozess und nicht damit, ob die außergerichtliche Vertretung gegenüber der Haftpflichtversicherung einerseits und der Rechtsstreit nur gegen den VN andererseits denselben Gegenstand bilden kann.

Entgegen der Auffassung des OLG München kann es für das Vorliegen desselben Gegenstandes auch nicht auf die AVB des dem Rechtstreit zugrunde liegenden Schadensfalls ankommen. Die von dem OLG angeführten Bedingungen regeln lediglich die Obliegenheiten des VN (hier der Bekl.) gegenüber der eigenen Haftpflichtversicherung im Rahmen der Prozessführung.

Entscheidend ist vielmehr eine andere Betrachtungsweise: Unter dem "Gegenstand" i.S.d. anwaltlichen Gebührenrechts versteht man das konkrete Recht oder Rechtsverhältnis, auf das sich die anwaltliche Tätigkeit bezieht, so etwa BGH RVGreport 2011, 14 (Hansens) = NJW 2011, 782 sowie RVGreport 2011, 15 (ders.) = JurBüro 2010, 636 = NJW 2010, 3037. Dabei stellt der BGH auf die wirtschaftliche Identität ab, so BGH RVGreport 2007, 220 (ders.) = NJW 2007, 2050 ab. Vorliegend hat der Prozessbevollmächtigte der Kl. dieselben Schadensersatzansprüche wegen Verletzung der Verkehrssicherungspflicht außergerichtlich zunächst gegen die Haftpflichtversicherung der Bekl. und sodann gerichtlich gegen die Bekl. selbst geltend gemacht. Dies spricht für das Vorliegen desselben Gegenstandes. Daran ändert auch der Umstand, dass die Kl. dann im Rechtsstreit neben ihren Schadensersatzansprüchen auch Ansprüche auf Ersatz von vorgerichtlich angefallenen Anwaltskosten gegen die Bekl. geltend gemacht hat, nichts. Damit hat die Kl. im Rechtstreit lediglich einen weiteren Gegenstand gegen die Bekl. verfolgt, der wohl nicht auch bereits Gegenstand der außergerichtlichen Vertretung gewesen ist.

Somit wird man der Auffassung des OLG München bei der erforderlichen wirtschaftlichen Betrachtungsweise im Ergebnis wohl zustimmen müssen. Das OLG München hat die Rechtsbeschwerde zugelassen.

Nach Ansicht des BGH zfs 2012, 163 ff. m. Anm. Hansens = RVGreport 2012, 71 (Hansens) und 2012, 118 (ders.) soll im Übrigen derselbe Gegenstand sogar auch dann gegeben sein, wenn der Anwalt den Anspruch für einen Mandanten außergerichtlich geltend macht und er dann – nach Abtretung dieses Anspruchs – aufgrund eines weiteren Auftrages für den Zessionar diesen Anspruch aus abgetretenem Recht einklagt. Das halte ich für bedenklich, weil in diesem Fall der Anwaltstätigkeit zwei völlig unterschiedliche Aufträge (Vertretungsmandat des einen Mandanten, Prozessmandat des anderen Mandanten) zugrunde liegen, was m.E. eine Anrechnung der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr ausschließt.

Heinz Hansens

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