StVG § 17 Abs. 1; StVO § 2 Abs. 2 § 8 Abs. 1

1. Die Verletzung der sog. halben Vorfahrt führt in der Regel zu einer Mithaftung des nach § 8 Abs. 1 StVO Vorfahrtberechtigten zu 25 %.

2. Hat der Vorfahrtberechtigte zusätzlich gegen das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 2 StVO) verstoßen, kommt – wegen erhöhter Betriebsgefahr – eine Erhöhung der Mithaftungsquote auf 50 % in Betracht.

(Leitsätze des Einsenders)

KG, Beschl. v. 23.7.2009 – 12 U 212/08

Die Klägerin hat Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall im Jahre 2007 geltend gemacht. Sie befuhr mit ihrem Pkw die A-B-Straße, die Beklagte mit ihrem Pkw die kreuzende O-F-Straße. Für die Beklagte kam die Klägerin mit ihrem Fahrzeug von rechts. Die Vorfahrt an der Kreuzung war nicht besonders geregelt. Auf der O-F-Straße näherte sich für die Klägerin von rechts kommend der Zeuge R mit seinem Fahrzeug. Die Klägerin fuhr auf ihrer Fahrbahn weit links ohne Herabsetzung der Geschwindigkeit und stieß im Kreuzungsbereich mit dem ca. 25 cm in ihre Fahrspur hinein ragenden Fahrzeug der Beklagten zusammen. Der Senat legte bei der Haftungsabwägung unter Zugrundelegung des von ihm angenommenen Vorfahrtverstoßes gegenüber dem Zeugen R, der auch im Verhältnis zu der Beklagten zu einer 25 %igen Mithaftung führte und wegen des Verstoßes der Klägerin gegen das Rechtsfahrgebot, der zu einer erhöhten Betriebsgefahr führte, trotz des Vorfahrtverstoßes der Beklagten eine hälftige Mithaftungsquote der Klägerin zu Grunde.

Aus den Gründen:

“Die Berufung hat keine Aussicht auf Erfolg. Der Senat folgt den im Wesentlichen zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, die durch die Berufungsbegründung nicht entkräftet worden sind. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:

I. Nach § 513 Absatz 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder die nach § 529 ZPO zu Grunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Beides ist nicht der Fall.

1. Zu Recht geht das LG in der angefochtenen Entscheidung von einer Mithaft der Klägerin in Höhe von 50 % aus. Zu Lasten der Klägerin ist zu berücksichtigen, dass diese nicht hinreichend weit Rechts gefahren ist und dass eine mit ‘halber Vorfahrt’ bezeichnete Situation vorlag.

a) Die Klägerin ist nicht, wie sie in ihrer Berufungsbegründungsschrift vorträgt, nur ‘etwas weiter links gefahren’, vielmehr ist sie am äußersten linken Fahrbahnrand gefahren. Dies ergibt sich schon aus dem Umstand, dass das Fahrzeug der Beklagten nach dem Unfall nur ca. 25 cm in die Farbahn der Klägerin ragte.

b) Es ist zwar zutreffend, dass das Rechtsfahrgebot nur dem Schutz der Verkehrsteilnehmer dient, die sich in Längsrichtung auf derselben Fahrbahn bewegen, nicht aber auch dem Schutz derer, die erst in diese Fahrbahn einbiegen wollen. Auch erstreckt sich das Vorfahrtsrecht auf die gesamte Fahrbahn der vom Vorfahrtberechtigten genutzten Vorfahrtstraße.

Ist der Vorfahrtberechtigte nicht hinreichend weit rechts gefahren, führt dies aber zu einer erhöhten Betriebsgefahr des von ihm geführten Fahrzeugs. Diese erhöhte Betriebsgefahr führt im Rahmen der Abwägung gem. § 17 StVG zu einer Mithaftung nach einer Quote von ¼ (vgl. Senat zfs 2007, 379 = Versicherer 112, 328 = KGR 2007, 676 L = NJW-Spezial 2007, 355 mit zust. Anm. = NZV 2007, 406).

c) Ist die Vorfahrt an einer Kreuzung – wie vorliegend – nicht besonders geregelt, so stellt sich für jeden Verkehrsteilnehmer, der sich dieser Kreuzung nähert, die Verkehrslage so dar, dass er zwar gegenüber dem von links kommenden vorfahrtberechtigt, gegenüber Verkehrsteilnehmern von rechts aber wartepflichtig ist. Um deren Vorfahrt beachten zu können, muss er, wie § 8 Abs. 2 S. 1 StVO vorschreibt, mit mäßiger Geschwindigkeit an die Kreuzung heranfahren und sich darauf einstellen, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann. Diese mit ‘halber Vorfahrt’ bezeichnete Situation (vgl. BGH, 21.5.1985, NJW 1985, 2757; OLG Hamm NZV 2000, 124) dient grundsätzlich auch dem Schutz des von links kommenden Wartepflichtigen. Kommt es in dieser Situation der halben Vorfahrt zu einem Verkehrsunfall zwischen einem Vorfahrtsberechtigten und einem von links kommenden Wartepflichtigen, führt dies in aller Regel zu einer Mithaftung des Vorfahrtberechtigten mit 25 % (vgl. OLG Hamm, NZV 2003, 377). Vorliegend ist zu Lasten der Klägerin zusätzlich zu berücksichtigen, dass sie die Vorfahrt des aus Ihrer Sicht von rechts kommenden Zeugen R verletzt hat. Die Beklagte zu 2) durfte aber damit rechnen, dass die Klägerin die Vorfahrt dieses Zeugen achtet, statt die Kreuzung mit unverminderter Geschwindigkeit und unter Erzwingung ihrer eigenen Vorfahrt zu überfahren.”

 
Anmerkung

Ist die Vorfahrt an einer Kreuzung nicht gesondert geregelt, sieht sich der der Kreuzung Nähernde zwei unterschiedlichen Verhaltenspflichten gegenüber: Einerseits hat er gegenüber dem von links Kommenden das Vorfahrtsrecht, gegenüber etwaigen, von rechts kommenden Verkehrsteilnehmern ist er wartepflichtig...

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