StVG § 7 Abs. 1 § 11 § 13, BGB § 843, ZPO § 287

Leitsatz

1. Im Rahmen der Schadensschätzung nach § 287 ZPO ist von einem voraussichtlich durchschnittlichen Erfolg des Geschädigten in seiner Tätigkeit auszugehen und auf dieser Grundlage die weitere Prognose der entgangenen Einnahmen anzustellen, wenn es an Anhaltspunkten fehlt, die überwiegend für einen Erfolg oder einen Misserfolg sprechen (BGH, 5.10.2010 – VI ZR 186/08). (Rn. 62)

2. Dies setzt indes voraus, dass der Geschädigte seiner Darlegungslast genügt und in dem ihm möglichen Umfang Angaben zu den für seinen beruflichen Erfolg maßgeblichen Faktoren, wie etwa Schul- und Ausbildungsnoten, macht und sich auf dieser Grundlage keine Besonderheiten in seiner Entwicklung ausmachen lassen. (Rn. 62)

3. Lassen sich nur deshalb keine Feststellungen zu den Anlagen und Fähigkeiten des Geschädigten treffen, weil dieser seiner Darlegungslast nicht gerecht wird und dazu keinerlei Angaben macht, obwohl ihm das unschwer möglich wäre, so kann dies nicht dazu führen, dass mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein jedenfalls durchschnittlicher beruflicher Erfolg festgestellt werden kann. Insoweit kann im Rahmen der Schadensschätzung lediglich ein hypothetischer Verdienst im unteren Bereich der statistischen Einkommensverteilung in dem erlernten Beruf angesetzt werden. (Rn. 62)

OLG Düsseldorf, Urt. vom 10.8.2021 – 1 U 68/19

Sachverhalt

Der am 18.11.1984 geboren Kläger wurde als Beifahrer bei einem Verkehrsunfall, der sich am 1.2.2004 ereignete, erheblich verletzt. Er erlitt u.a. ein Schädel-Hirn-Trauma zweiten Grades mit einer Subdural Blutung frontal, rechtsbetont und einer Hirnkontusion links occipital. Unstreitig haben der Fahrer und die mitverklagte Haftpflichtversicherung für die Unfallfolgen in vollem Umfang einzustehen.

Einen Tag vor dem Unfall hatte der Kläger die Klasse 12/1 des Gymnasiums abgeschlossen. Nach dem Unfall konnte er auf dem Gymnasium, das er bis dahin besucht hatte, wegen körperlicher und mentaler Defizite nicht mehr unterrichtet werden. Auch ein Wechsel auf ein Internatsgymnasium am Niederrhein führte nicht zum Erwerb der allgemeinen Hochschulreife. Im Zeitraum 2006 bis 2008 absolvierte er an einem Berufskolleg eine Ausbildung zum gestaltungstechnischen Assistenten, die er nur mit erheblichen Erleichterungen und Hilfestellungen erfolgreich abschließen konnte. Während des letzten halben Jahres der Ausbildung war er vom Schulbesuch befreit, unter anderem, weil es zu Konflikten mit anderen Auszubildenden gekommen war. Nach Abschluss der Ausbildung versuchte der Kläger mehrfach in seinem erlernten Beruf tätig zu werden, jedoch wurde kein Beschäftigungsverhältnis über die Probezeit hinaus fortgesetzt. Schließlich wurde er auf der Basis der Annahme einer vollständigen Arbeitsunfähigkeit frühverrentet.

Der Kläger hat behauptet, er leide unfallbedingt an Epilepsie, einer posttraumatischen Hirnleistungsschwäche, Persönlichkeitsveränderungen, Sprachstörungen und Rückenschmerzen. Wegen vollständiger Erwerbsminderung stehe ihm ab Februar 2015 als Schadensersatz eine Erwerbsausfallrente in Höhe von 2.374,10 EUR pro Monat zu. Es sei davon auszugehen, dass er ohne den Unfall den Beruf des Wirtschaftspsychologen ergriffen und daher ein Einkommen in dieser Höhe (einschließlich der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung) erzielt hätte. Danach habe die Beklagte zu 2) auch bislang ihre Entschädigungszahlungen bemessen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Senat hat ihr nach ergänzender Beweisaufnahme teilweise stattgegeben.

2 Aus den Gründen:

(von dem Abdruck der nicht den Erwerbsschaden betreffenden Ausführungen wird hier abgesehen):

II.

[39] Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg.

[40] Dem Kläger steht nach § 7 Abs. 1, 11, 13 StVG, 843 BGB, 115 Abs. 1 Nr. VVG gegen die Beklagten ein Anspruch auf Ersatz eines Erwerbsschadens für den Zeitraum Februar 2015 bis August 2021 in Höhe von 94.512,30 EUR – zum Teil nebst Zinsen – und für den Zeitraum ab September 2021 bis zum hypothetischen Zeitpunkt des Renteneintritts am 18.11.2051 in Höhe von monatlich 1.785,00 EUR zu. Maßgeblich für die Ermittlung der Höhe des Anspruchs ist dabei nicht das Einkommen im Rahmen einer durch den Kläger trotz mehrfacher Hinweise des Senats nicht hinreichend dargelegten hypothetischen Erwerbstätigkeit als Wirtschaftspsychologe, sondern das Einkommen im Rahmen einer Tätigkeit in dem durch den Kläger nach dem Unfall erlernten Beruf des gestaltungstechnischen Assistenten. Da Angaben des Klägers zur Höhe eines insoweit erzielbaren Einkommens fehlen, kann nur eine hypothetische Mindestvergütung geschätzt werden, die sich auf einen Nettobetrag von 1.785,00 EUR pro Monat beläuft. Soweit der Kläger in der Vergangenheit kongruente Drittleistungen erhalten hat, sind diese in Abzug zu bringen. Den für den Zeitraum Mai 2014 bis Januar 2015 bestehenden Anspruch des Klägers hat die Beklagte zu 2) indes bereits durch Zahlungen in überschießender Höhe erfüllt, ohne dass dem der mit Schreiben vom 12.12.2014 erklärte Vorbehalt entgegensteht. Einen...

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