Die meisten Richter handeln bewusst oder unbewusst nach dem vom BGH für den Strafprozess formulierten Grundsatz: "Das Vertrauen in eine Terminsankündigung umfasst der Öffentlichkeitsgrundsatz nicht (BGH NStZ 84, 134; 4 StR 89/06 vom 18.7.2006)"[8] Selbst ein Aushang mit den Sitzungsterminen vor dem Verhandlungssaal wird nicht als zwingend erachtet, weil ein "so weitreichender Schutz des Öffentlichkeitsinteresses das Gericht praktisch an jede einmal bekanntgegebene Terminplanung binden und damit eine flexible und zügige Durchführung der Hauptverhandlung behindern" würde.[9]

Es stellt sich die Frage, inwieweit diese Grundsätze auch für das Bußgeldverhandlungen gelten. Das OWiG regelt in § 71, dass sich das Verfahren nach einem zulässigen Einspruch nach den Vorschriften richtet, die auch für den zulässigen Einspruch gegen einen Strafbefehl gelten. Seitz kommentiert § 71 OWiG hinsichtlich des Öffentlichkeitsgrundsatzes, dass dieser im Bußgeldverfahren zwar ebenfalls gelte, aber mit noch geringeren Anforderungen. Für das Bußgeldverfahren gelten wegen der geringeren Bedeutung allgemein vereinfachte Ausgestaltungen der Verfahrensrechte, wie die Möglichkeit des Beschlussverfahrens (§ 72 OWiG), die Einschränkung der Anwesenheitspflicht (§§ 73 Abs. 1 und 2, 75 Abs. 1 OWiG) und die Einschränkung des Mündlichkeitsgrundsatzes (§§ 74 Abs. 1, 78 Abs. 1 OWiG).[10] Deshalb wäre der Öffentlichkeitsgrundsatz bei einem Ordnungswidrigkeitenverfahren mit geringer Bedeutung "wohl" nicht verletzt, wenn das Gericht während der Verhandlung einen etwa zehnminütigen Ortstermin bestimmt, ohne dies am Gerichtssaal zu vermerken.[11] Einschränkend dazu wird auch vertreten, dass bei einem fehlenden Hinweis auf einen Ortstermin der Öffentlichkeitsgrundsatz verletzt sei, wenn sich der Beweisaufnahme vor Ort wesentliche Teile der Hauptverhandlung dort anschlößen.[12] Wohl unstrittig verletzt ist der Öffentlichkeitsgrundsatz, wenn für die Durchführung der Hauptversammlung ein so kleiner Raum gewählt wird, "dass er keinen Platz für einen repräsentativen Teil von Zuhörern bietet".[13]

[8] Meyer-Goßner, a.a.O., zu § 169 GVG, Rn. 1 m.w.N.
[9] Meyer-Goßner, a.a.O., zu § 169 GVG, Rn. 4 m.w.N.
[10] Seitz in: Göhler, Ordnungswidrigkeitengesetz, 18. Aufl., 2021, zu § 71 Rn. 56a.
[11] Seitz a.a.O. zu § 71 Rn. 56b.
[12] Hamm NZV 2001, 390.
[13] Seitz a.a.O. zu § 71 Rn. 56b.

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