Der Entscheidung des OLG Karlsruhe ist zuzustimmen.

I. Anfall der vollen Verfahrensgebühr

Das OLG Karlsruhe hat sich der Auffassung des OLG Celle RVGreport 2018, 54 (Hansens) = AGS 2018, 9 und des OLG München RVGreport 2011, 29 (ders.) = zfs 2011, 169 mit Anm. Hansens = AGS 2011, 103 angeschlossen, die ebenfalls einen lediglich angekündigten Antrag als Sachantrag i.S.v. Nr. 3201 Abs. 1 Nr. 1 VV RVG angesehen hat. Sachanträge sind Anträge, durch die der ASt. (im Fall des OLG Celle die Berufungsbeklagten, im Fall des OLG Karlsruhe die Bekl.) erklärt, welchen Inhalt die von ihm erstrebte Entscheidung haben soll (siehe Hansens, BRAGO, 8. Aufl., § 32 Rn 8). Auch wenn hier der Prozessbevollmächtigte der Bekl. seine Anträge lediglich "angekündigt" hatte, ergab sich aus dem Schriftsatz v. 18.10.2019 hinreichend, dass die Bekl. die Abweisung der gegnerischen Klage begehrt. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass Sachanträge nicht stets formgerecht gestellt werden müssen, um den Gebührentatbestand auszulösen. Es genügt vielmehr, dass dem Schriftsatz das Begehren des Mandanten zu entnehmen ist (Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 24. Aufl., Nr. 3101 VV RVG Rn 27). Auch diese Voraussetzung hat hier vorgelegen. Deshalb ist es gebührenrechtlich unschädlich, wenn ein Rechtsanwalt, der sich bei der Formulierung seiner Schriftsätze genau an die Verfahrensregelungen der ZPO hält, wonach die mündliche Verhandlung durch Schriftsätze vorbereitet wird, die die Anträge enthalten, welche die Partei in der Gerichtssitzung zu stellen beabsichtigt. Er darf keine gebührenrechtlichen Nachteile gegenüber demjenigen Anwalt erleiden, der – eigentlich prozessordnungswidrig – den Sachantrag bereits im Schriftsatz stellt, anstatt ihn anzukündigen.

II. Wann ist ein Schriftsatz eingereicht?

Der Beschluss des OLG Karlsruhe gibt Anlass, auf eine Entscheidung des BGH hinzuweisen, die in der Praxis wenig bekannt ist, die aber für den Anwalt gebührenrechtliche und für den Mandanten erstattungsrechtliche Vorteile haben kann. Dahinter steht die Beantwortung der Frage, zu welchem Zeitpunkt ein Schriftsatz mit Sachantrag, Sachvortrag usw. eingereicht ist und der Gebührentatbestand der vollen Verfahrensgebühr (bereits) verwirklicht worden ist.

Nr. 3101 VV RVG erfordert, dass der Rechtsanwalt einen der dort genannten Anträge oder Schriftsätze eingereicht hat. Die Praxis geht überwiegend davon aus, dass ein Schriftsatz eingereicht ist, wenn er tatsächlich beim Empfänger – hier beim Prozessgericht – eingegangen ist (so etwa KG JurBüro 1985, 1039; wohl auch OLG Brandenburg RVGreport 2010, 194 [Hansens]). Dabei stützt sich diese Auffassung auf die zivilprozessualen Vorschriften, wonach der Eingang bei Gericht erfolgt sein muss (siehe etwa §§ 105 Abs. 3 Hs. 1, 128 Abs. 2 S. 2, 130a Abs. 3, 541 Abs. 1 S. 1 und § 566 Abs. 2 S. 1 ZPO).

Demgegenüber vertritt der BGH (zfs 2018, 344 mit Anm. Hansens = RVGreport 2018, 179 [Hansens] = AGS 2018, 251) die Auffassung, für ein Einreichen i.S.v. Nr. 3101 Nr. 1 VV RVG sei es bereits ausreichend, wenn der Schriftsatz so auf den Weg gebracht wird, dass sein Zugang ausschließlich von der Tätigkeit Dritter, etwa eines Postbeförderungsunternehmens, abhängig ist (ebenso AnwKomm-RVG/Onderka/N. Schneider, 8. Aufl., Nr. 3101 VV RVG Rn 24; wohl auch Gerold/Schmidt/Müller-Rabe, RVG, 24. Aufl., Nr. 3101 VV RVG Rn 17 unter Aufgabe der gegenteiligen Meinung in der Vorauflage). Der BGH stellt in seiner Entscheidung darauf ab, dass der Anwalt alles aus seiner Sicht Notwendige unternommen hat, um den Schriftsatz (mit Sachantrag, Sachvortrag usw.) auf den Weg zum Gericht zu bringen. Dies sei – so der BGH – mit der Übergabe an ein Postbeförderungsunternehmen zu bejahen, weil dem Anwalt dann die Einflussnahme darauf, ob und wann der Schriftsatz bei Gericht eingeht, genommen sei. Die gegenteilige Meinung macht nach Auffassung des BGH das Vergütungsrisiko des Rechtsanwalts im Ergebnis auch von der Auswahl des gewählten Übermittlungsweges – etwa per Briefpost, Fax oder als elektronisches Dokument – abhängig. Dies sei jedoch weder sachgerecht noch sei erkennbar, dass es vom Gesetzgeber gewollt sei.

III. Praktische Auswirkungen

1. Gebührenrecht

Die Auffassung des BGH führt zu einer Vorverlagerung des Anfalls der vollen Verfahrensgebühr auf den Zeitpunkt, zu dem der Rechtsanwalt den Schriftsatz mit Sachantrag oder Sachvortrag dem Postbeförderungsunternehmen übergeben hat. Die zeitlich danach auftretenden Umstände können also nicht zum Wegfall der bereits verdienten vollen Verfahrensgebühr führen (siehe § 15 Abs. 4 RVG). Kündigt beispielsweise der Mandant den Anwaltsvertrag, nachdem der Anwalt den Schriftsatz mit Sachantrag in den Postbriefkasten geworfen hat, jedoch bevor er einige Tage später bei Gericht tatsächlich eingegangen ist, ist in Anwendung der Entscheidung des BGH, a.a.O. die volle Verfahrensgebühr bereits verdient.

2. Erstattungsrecht

Die Entscheidung des BGH kann aber auch Auswirkungen auf die Erstattungsfähigkeit der vollen Verfahrensgebühr haben. Er...

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