Nicht nur wegen der noch immer in vielen Punkten umstrittenen Auslegung der Fluggastrechteverordnung[9] ergingen die meisten individualreiserechtlichen Entscheidungen wieder zum Luftbeförderungsrecht.[10] Die sonstigen Verkehrsmittel (insb. Eisenbahn,[11] Bus[12] und Schiff[13] ) sind bei der Gesamtbetrachtung der individualreiserechtlichen Rechtsprechung im Berichtszeitraum 2019 von eher untergeordneter Bedeutung.

[9] Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11.2.2004 über eine gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 (ABl L 46, S. 1); vertiefend dazu Emde NJW 2019, 2270 (Ausgleichsleistung als Entgeltforderung); Führich, Handbuch des Pauschalreise-, Reisevermittlungs-, Reiseversicherungs- und Individualreiserechts, 8. Aufl. 2019, §§ 38-43; Schaefer NJW 2019, 3029 (Luftsicherheitskontrollen); Wienbracke NZV 2019, 135 (abstrakte Gefahr unsorgfältiger Passagierkontrollen kein außergewöhnlicher Umstand); LG Hamburg, Urt. v. 21.5.2019 – 321 S 83/18, BeckRS 2019, 12169 = NJW-RR 2019, 1142 u. Urt. v. 3.6.2019 – 321 S 22/18, BeckRS 2019, 12171 (Streik eigener Mitarbeiter u.U. kein außergewöhnlicher Umstand).
[10] Vgl. zur Entwicklung des Luftbeförderungsrechts in den Vorjahren auch Führich MDR 2019, 1285.
[11] Vgl. Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 45; zum Abschluss eines Beförderungsvertrags durch bloßes Einsteigen ohne Fahrkarte in einen frei zugänglichen Zug: EuGH, Urt. v. 7.11.2019 – Rs. C-349/18 bis C-351/18 "Kanyeba, Nijs und Dedroog" (PM Nr. 136/19), BeckRS 2019, 26980 = EWS 2019, 345; Fahrpreiszahlung per SEPA-Lastschrift darf nicht von inländischem Wohnsitz abhängig gemacht werden: EuGH, Urt. v. 5.9.2019 – Rs. C-28/18 "Verein für Konsumenteninformation/Deutsche Bahn AG" (PM Nr. 104/19), CR 2019, 734 = K&R 2019, 642 (Ls.) = MMR 2019, 813 = RIW 2019, 829 = WM 2019, 1830 = WRP 2019, 1567 = ZIP 2019, 1760.
[12] Vgl. Führich, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 44.
[13] Vgl. Führich, a.a.O., § 46.

I. Verzögerte Abfertigung wegen eines Systemausfalls im Flughafenterminal

Mit zwei weitgehend inhaltsgleichen Urteilen vom 15.1.2019[14] hatte der BGH über große Endzielverspätungen auf einer mehrgliedrigen Flugverbindung von New York über London nach Stuttgart zu entscheiden. In einem Terminal des Flughafens JFK in New York waren alle Computer an den Abfertigungsschaltern ausgefallen. Da wegen einer daraus resultierenden Abflugverzögerung und einer gut zweistündigen Ankunftsverspätung in London der Anschlussflug verpasst wurde, erreichten die Fluggäste das Endziel Stuttgart erst mit einer Verspätung von mehr als neun Stunden. Die betroffenen Kl. begehrten Ausgleichszahlungen. Dazu urteilte der BGH, dass ein mehrstündiger Ausfall aller Computersysteme an den Abfertigungsschaltern eines Terminals außergewöhnliche Umstände i.S.v. Art. 5 Abs. 3 der Fluggastrechteverordnung begründen kann, wenn der Ausfall einen erhöhten Aufwand bei der Abfertigung der Fluggäste zur Folge hat und damit den planmäßigen Start eines Fluges verhindert.[15] Welche Maßnahmen einem Luftverkehrsunternehmen zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer großen Verspätung eines Fluges führen oder Anlass zu einer Annullierung geben, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls.[16] Nach Ansicht des BGH sind im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 Fluggastrechteverordnung lediglich solche Maßnahmen zu berücksichtigen, mit denen das ausführende Luftverkehrsunternehmen eine Annullierung oder Verspätung desjenigen Flugs (gemeint ist Teilflugs bzw. Flugsegments) hätte vermeiden können, der von dem außergewöhnliche Umstände begründenden Ereignis betroffen ist. Ob eine erheblich verspätete Ankunft eines auf diesen Flug sowie einen direkten Anschlussflug gebuchten Fluggastes an seinem Endziel durch eine Umbuchung auf einen anderen (Anschluss-)Flug verhindert werden kann, soll nach Ansicht des Senats nur im Rahmen von Art. 5 Abs. 1 lit. c Fluggastrechteverordnung von Bedeutung sein.[17] Zumindest der letzte Leitsatz (c) ist vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des EuGH wohl kritisch zu hinterfragen, da der EuGH eine einheitlich gebuchte, mehrgliedrige Flugverbindung inzwischen als "einen" Flug betrachtet.[18] Konsequenterweise sollten daher m.E. – anders als vom BGH angenommen – auch bei der Prüfung von Art. 5 Abs. 3 solche zumutbaren Vermeidungsmaßnahmen berücksichtigt werden, die sich auf die Verspätung am Endziel auswirken (z.B. Umbuchung auf einen anderen Anschlussflug oder möglicherweise sogar Durchführung eines zusätzlichen Fluges).

[14] BGH, Urt. v. 15.1.2019 – X ZR 15/18 (PM Nr. 4/2019), BeckRS 2019, 4446 = CR 2019, 291 = MDR 2019, 598 = NJW 2019, 1369 (m. Anm. Bergmann) = RdTW 2019, 467 = TranspR 2019, 338 = VersR 2019, 1169; Urt. v. 15.1.2019 – X ZR 85/18, BeckRS 2019, 4424.
[15] Leitsatz a) des Urteils X ZR 15/18 und Rn 10 ff. beider Urteile.
[16] Leitsatz b) 1. Hs. des Urteils X ZR 15/18 und Rn 22 ...

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