Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Eisenbahnverkehr. Rechte und Pflichten der Fahrgäste. Beförderungsvertrag. Begriff. Fahrgast, der beim Einstieg in den Zug keine Fahrkarte hat. Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. Allgemeine Beförderungsbedingungen eines Eisenbahnunternehmens. Bindende Rechtsvorschriften. Vertragsstrafeklausel. Befugnisse des nationalen Gerichts

 

Normenkette

EGV Nr. 1371/2007 Art. 3 Nr. 8; Richtlinie 93/13/EWG Art. 1 Abs. 2, Art. 6 Abs. 1

 

Beteiligte

Kanyeba

Nationale Maatschappij der Belgische Spoorwegen (NMBS)

Mbutuku Kanyeba

Larissa Nijs

Jean-Louis Anita Dedroog

 

Tenor

1. Art. 3 Nr. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr ist dahin auszulegen, dass eine Situation, in der ein Fahrgast in einen frei zugänglichen Zug einsteigt, um eine Fahrt zu unternehmen, ohne sich eine Fahrkarte besorgt zu haben, unter den Begriff „Beförderungsvertrag” im Sinne dieser Bestimmung fällt.

2. Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ist dahin auszulegen, dass er ein nationales Gericht, das die Missbräuchlichkeit einer in einem Vertrag zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher vorgesehenen Vertragsstrafeklausel feststellt, zum einen daran hindert, die Höhe der mit dieser Klausel zulasten dieses Verbrauchers auferlegten Vertragsstrafe zu mäßigen, und zum anderen daran hindert, die missbräuchliche Klausel in Anwendung nationaler vertragsrechtlicher Grundsätze durch eine dispositive Vorschrift des nationalen Rechts zu ersetzen, es sei denn, der betreffende Vertrag kann bei Wegfall der missbräuchlichen Klausel nicht fortbestehen und die Nichtigerklärung des gesamten Vertrags setzt den Verbraucher besonders nachteiligen Folgen aus.

 

Tatbestand

In den verbundenen Rechtssachen

betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Vredegerecht te Antwerpen (Friedensgericht Antwerpen, Belgien) mit Entscheidungen vom 25. Mai 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 30. Mai 2018, in den Verfahren

Nationale Maatschappij der Belgische Spoorwegen (NMBS)

gegen

Mbutuku Kanyeba (C-349/18),

Larissa Nijs (C-350/18),

Jean-Louis Anita Dedroog (C-351/18)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis (Berichterstatter), E. Juhász, M. Ilešič und C. Lycourgos,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

  • der belgischen Regierung, vertreten durch C. Van Lul, C. Pochet und J.-C. Halleux als Bevollmächtigte,
  • der Europäischen Kommission, vertreten durch N. Ruiz García und P. Vanden Heede als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Juni 2019

folgendes

Urteil

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 9 Abs. 4 der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (ABl. 2007, L 315, S. 14) sowie von Art. 2 Buchst. a, Art. 3 und 6 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

Rz. 2

Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Nationale Maatschappij der Belgische Spoorwegen (NMBS) (Nationale Gesellschaft der belgischen Eisenbahnen) und Herrn Mbutuku Kanyeba (Rechtssache C-349/18), Frau Larissa Nijs (Rechtssache C-350/18) und Herrn Jean-Louis Anita Dedroog (Rechtssache C-351/18) über Preiszuschläge, die von ihnen verlangt wurden, weil sie Zugfahrten ohne Beförderungsausweis unternommen hatten.

Unionsrecht

Richtlinie 93/13

Rz. 3

Der 13. Erwägungsgrund der Richtlinie 93/13 lautet:

„Bei Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, in denen direkt oder indirekt die Klauseln für Verbraucherverträge festgelegt werden, wird davon ausgegangen, dass sie keine missbräuchlichen Klauseln enthalten. Daher sind Klauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Grundsätzen oder Bestimmungen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die [Europäische Union] Vertragsparteien sind, nicht dieser Richtlinie zu unterwerfen; der Begriff ‚bindende Rechtsvorschriften’ in Artikel 1 Absatz 2 umfasst auch Regeln, die nach dem Gesetz zwischen den Vertragsparteien gelten, wenn nichts anderes vereinbart wurde.”

Rz. 4

Art. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„(1) Zweck dieser Richtlinie ist die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über missbräuchliche Klauseln in Verträgen zwischen Gewerbetreibenden und Verbrauchern.

(2) Vertragsklauseln, die auf bindenden Rechtsvorschriften oder auf Bestimmungen oder Grundsätzen internationaler Übereinkommen beruhen, bei denen die Mitgliedstaaten oder die [Union] – insbesondere...

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