Entscheidungsstichwort (Thema)

Vorlage zur Vorabentscheidung. Eisenbahnverkehr. Rechte und Pflichten der Fahrgäste. Beförderungsvertrag. Begriff. Fahrgast, der beim Einstieg in den Zug keine Fahrkarte hat. Verbraucherschutz

 

Normenkette

Verfahrensordnung des Gerichtshofs Art. 99; Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 Art. 3 Nr. 8

 

Beteiligte

Dunaj-Finanse

Dunaj-Finanse sp. z o.o

KG

 

Tenor

Art. 3 Nr. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr ist in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 und 2 des Anhangs A in Anhang I dieser Verordnung

dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, wonach zwischen einem Beförderer und einem Fahrgast, der einen Platz in einem frei zugänglichen Zug ohne die Absicht einnimmt, eine Fahrkarte zu kaufen, kein Beförderungsvertrag zustande kommt.

 

Tatbestand

In der Rechtssache

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Rejonowy dla Warszawy-Řródmieścia w Warszawie (Rayongericht Warschau-Řródmieście, Polen) mit Entscheidung vom 20. Juni 2022, beim Gerichtshof eingegangen am 9. August 2022, in dem Verfahren

Dunaj-Finanse sp. z o.o.

gegen

KG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. G. Xuereb sowie der Richter T. von Danwitz (Berichterstatter) und A. Kumin,

Generalanwalt: G. Pitruzzella,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund der nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Entscheidung, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

 

Entscheidungsgründe

Rz. 1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 3 Nr. 8 der Verordnung (EG) Nr. 1371/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über die Rechte und Pflichten der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr (ABl. 2007, L 315, S. 14) sowie von Art. 6 Abs. 1 und 2 des Anhangs A in Anhang I dieser Verordnung.

Rz. 2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Dunaj-Finanse sp. z o.o. und KG über ein von diesem wegen einer Zugfahrt ohne Beförderungsausweis gefordertes tarifliches Zusatzentgelt.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Rz. 3

In den Erwägungsgründen 1 bis 3 der Verordnung Nr. 1371/2007 heißt es:

„(1) Im Rahmen der gemeinsamen Verkehrspolitik ist es wichtig, die Nutzerrechte der Fahrgäste im Eisenbahnverkehr zu schützen und die Qualität und Effektivität der Schienenpersonenverkehrsdienste zu verbessern, um dazu beizutragen, den Verkehrsanteil der Eisenbahn im Vergleich zu anderen Verkehrsträgern zu erhöhen.

(2) In der Mitteilung der Kommission ‚Verbraucherpolitische Strategie 2002-2006’ [(ABl. 2002, C 137, S. 2)] ist das Ziel festgelegt, gemäß Artikel 153 Absatz 2 des Vertrags ein hohes Verbraucherschutzniveau im Bereich des Verkehrs zu erreichen.

(3) Da der Fahrgast die schwächere Partei eines Beförderungsvertrags ist, sollten seine Rechte in dieser Hinsicht geschützt werden.”

Rz. 4

Art. 1 Buchst. a dieser Verordnung sieht vor:

„Diese Verordnung enthält Vorschriften für

a) die von den Eisenbahnunternehmen bereitzustellenden Informationen, den Abschluss von Beförderungsverträgen, die Ausgabe von Fahrkarten und die Umsetzung eines rechnergestützten Informations- und Buchungssystems für den Eisenbahnverkehr”.

Rz. 5

Art. 3 der Verordnung bestimmt:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

2. ‚Beförderer’ das vertragliche Eisenbahnunternehmen, mit dem der Fahrgast den Beförderungsvertrag geschlossen hat, oder eine Reihe aufeinanderfolgender Eisenbahnunternehmen, die auf der Grundlage dieses Vertrags haften;

8. ‚Beförderungsvertrag’ einen Vertrag über die entgeltliche oder unentgeltliche Beförderung zwischen einem Eisenbahnunternehmen oder einem Fahrkartenverkäufer und dem Fahrgast über die Durchführung einer oder mehrerer Beförderungsleistungen;

16. ‚Allgemeine Beförderungsbedingungen’ die in Form von Allgemeinen Geschäftsbedingungen oder Tarifen in jedem Mitgliedstaat rechtsgültigen Bedingungen des Beförderers, die mit Abschluss des Beförderungsvertrages dessen Bestandteil geworden sind;

…”

Rz. 6

Kapitel II („Beförderungsvertrag, Informationen und Fahrkarten”) der Verordnung Nr. 1371/2007 enthält ihre Art. 4 bis 10. Art. 4 („Beförderungsvertrag”) der Verordnung sieht vor:

„Vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Kapitels unterliegen der Abschluss und die Ausführung eines Beförderungsvertrags sowie die Bereitstellung von Informationen und Fahrkarten den Bestimmungen in Anhang I Titel II und III.”

Rz. 7

Anhang I („Auszug aus den einheitlichen Rechtsvorschriften für den Vertrag über die internationale Eisenbahnbeförderung von Personen und Gepäck [CIV]”) der Verordnung Nr. 1371/2007 besteht aus den Titeln II bis VII des Anhangs A zum Übereinkommen über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) vom 9. Mai 1980, geändert durch das Protokoll von Vilnius vom 3. Juni 1999 (im Folgenden: COTIF). Anhang I enthält Titel II („Abschluss und Ausführung des Beförder...

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