1) Zu den Dauerbrennern des Zivilprozessrechts gehört die Frage, inwieweit der Zivilrichter an Feststellungen eines rechtskräftigen Strafurteils gebunden sein soll bzw. bei seinen tatsächlichen Feststellungen Beweisergebnisse des Strafurteils übernehmen darf. Beim Inkrafttreten der CPO wurde in deren EG § 14 Abs. 2 Nr. 1 eine Bindung des Zivilgerichts an Feststellungen der Strafgerichte, die aufgrund von Landesrechten bestimmt worden war, aufgehoben und ist seitdem nicht wieder eingeführt worden (vgl. Hahn, Die gesamten Materialien zur CPO und dem Einführungsgesetz, 1880, 1087). Ein Versuch der Einführung einer Bindung des Zivilgerichts an Feststellungen des Strafurteils durch die Einfügung des § 415a ZPO in dem geplanten, aber insoweit nicht umgesetzten Justizmodernisierungsgesetz scheiterte. Danach sollten rechtskräftige Urteile über Straftaten und Ordnungswidrigkeiten den vollen Beweis der darin für erwiesen erachteten Tatsachen erbringen. Grund für dieses Bestreben war die schon damals (2003) bestehende dramatische Haushaltslage, die eine Abschaffung der doppelten Bewältigung identischer Sachverhalte durch Zivil- und Strafgericht mit dem Ziel der Kostensenkung und Beschleunigung als geboten erscheinen ließ (vgl. BT-Drs. 378/03 und 15/1508). Da inzwischen in Österreich und Frankreich Bindungen der Zivilgerichte an strafgerichtliche Urteile eingeführt worden waren, ergaben sich hieraus weitere Argumente für diese Reform, die auch in dem Entwurf des Beschleunigungsgesetzes (BT-Drs. 397/03; vgl. dazu Röttgen ZRP 2003, 345 ff.; Vollkommer ZIP 2003, 2061) ihren Niederschlag fanden. Die Kritiker dieser Entwürfe setzten sich durch (vgl. Vollkommer a.a.O.; Huber ZRP 2003, 268 [271 ff.]; eingehend Foerster, Transfer der Ergebnisse von Strafverfahren im folgenden Zivilverfahren, 2 m.w.N. in Fn 9).

2) Eine Darstellung der Gründe für diese einhellige vernichtende Ablehnung (vgl. Vollkommer) ist entbehrlich, da derzeit trotz der damit verbundenen Ersparnisse und Beschleunigungsmöglichkeiten eine Wiederaufnahme des Versuchs der Einführung einer Bindung des Zivilrichters an die strafgerichtlichen Feststellungen unwahrscheinlich erscheint. Allerdings ist nicht zu verkennen, dass schon die Existenz eines Strafurteils, mag es zu einer Verurteilung oder zu einem Freispruch geführt haben, auf das Bestreben der betroffenen oder begünstigten Partei zur Durchsetzung oder Ablehnung des schließlich im Zivilverfahren verfolgten Anspruchs Einfluss haben kann.

Grundlage des Einflusses des strafgerichtlichen Urteils auf das Zivilverfahren ist die mit dem Vorhandensein des Urteils verbundene Möglichkeit der Führung eines Urkundsbeweises. Das Strafurteil stellt eine Beweisurkunde dar, der allerdings nur eine formelle Beweiskraft zukommt (vgl. BGH NJW 1988, 1527; ZPO §§ 415, 417). Die inhaltliche Richtigkeit der strafgerichtlichen Feststellungen wird nicht angenommen. Es steht nur fest, dass das Gericht die von ihm wiedergegebenen Feststellungen getroffen hat. Ob die Feststellungen auch inhaltlich richtig sind, ist im Wege der Beweiswürdigung zu prüfen (§ 286 ZPO). Für eine solche Prüfung besteht keine sachliche Grundlage, wenn ein abgekürztes Strafurteil vorliegt.

3) Die Entscheidung des BGH befasst sich mit den prozesstaktischen Möglichkeiten des Anspruchsgegners, der sich einem zur Begründung des Anspruchs von dem Antragsteller vorgelegten, den Antragsgegner verurteilenden Strafurteil gegenüber sieht. Würde man den Antragsgegner für verpflichtet halten, die mit den Feststellungen des Strafurteils identischen in der Klagebegründung aufgenommenen Tatsachenbehauptungen vollständig zu bestreiten, müsste er einen eigenen Entwurf der Darstellung des Gesamtgeschehens dem des Strafurteils entgegensetzen, sodass der Antragsgegner, der sich dem "geschlossenen Entwurf des Gesamtgeschehens" im Strafurteil gegenüber sieht, gehalten sein könnte, eine in ihrer Intensität vergleichbare Darstellung als Klageerwiderung vorzulegen. Das liefe nicht nur auf eine Überforderung des Anspruchsgegners hinaus, sondern würde den Prozessstoff auch in der Weise erweitern, dass im Zivilverfahren der Strafprozess nahezu wiederholt werden müsste.

4) Kernfrage der urkundenbeweislichen Verwertung des Strafurteils ist die Frage der Überzeugungsbildung des Zivilrichters, ob und ggf. welche der im Strafurteil getroffenen tatsächlichen Feststellungen, die ein Tatbestandsmerkmal einer zivilrechtlichen Anspruchsnorm ausfüllen, gem. § 286 ZPO als erwiesen anzusehen sind.

Hatte der Gegner des Beweisführers im Strafverfahren ein Geständnis abgelegt, kam dem zwar nicht die nur bei Ablegung im Zivilverfahren zukommende Wirkung der Entbehrlichkeit eines Beweises gem. §§ 288, 290 ZPO zu, doch die eines starken Indizes für die Wahrheit der Feststellung (vgl. BGH NJW-RR 2004, 1001).

Zur Verhinderung einer verbotenen vorweggenommenen Beweiswürdigung betont der BGH, dass die Überzeugung der Richtigkeit einer Feststellung in einem strafgerichtlichen Urteil nicht allein auf diese gestützt we...

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