"… II. Das Rechtsmittel hat vorläufig Erfolg."

1. Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde ist wegen Versagung rechtlichen Gehörs zulässig. Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat in ihrer Stellungnahme vom 8.8.2018 insoweit wie folgt ausgeführt:

“Die Rechtsbeschwerde ist jedoch wegen abermaliger Verletzung des rechtlichen Gehörs zuzulassen. Die Verfahrensrüge, das rechtliche Gehör sei versagt worden, ist zulässig und hat in der Sache Erfolg.

a) Das Recht der Betr. auf rechtliches Gehör ist bereits dadurch verletzt, dass die Hauptverhandlung gem. § 230 Abs. 1 i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG ohne sie durchgeführt wurde und eine Ausnahme von dem Grundsatz, dass die Hauptverhandlung nur in Anwesenheit des Betr. durchgeführt werden darf, nicht vorliegt.

Grundsätzlich ist der Betr. in einem Ordnungswidrigkeitenverfahren zum Erscheinen in der Hauptverhandlung verpflichtet (§ 73 Abs. 1 OWiG), womit sein Recht auf Teilnahme an der Hauptverhandlung als Ausprägung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör korrespondiert (§§ 230 StPO, 46 Abs. 1 OWiG). Die Hauptverhandiung im Ordnungswidrigkeitenverfahren darf – insoweit enthält das OWiG eine von den Bestimmungen der StPO abweichende Regelung – in Abwesenheit des Betr. nur dann durchgeführt werden, wenn er nicht erschienen ist und darüber hinaus von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entbunden war (§ 74 Abs. 1 S. 1 OWiG). Die Entbindung von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen wiederum ist in § 73 Abs. 2 OWiG geregelt und setzt voraus, dass der Betr. sich zur Sache geäußert oder erklärt hat, dass er sich nicht äußern werde, weiterhin seine Anwesenheit zur Aufklärung wesentlicher Gesichtspunkte nicht erforderlich ist und er einen Antrag, ihn von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen zu befreien, gestellt hat. Der Antrag kann nur vom Betr. selbst gestellt werden, weil das Anwesenheitsrecht eines Betr. nicht der Disposition des Richters im Interesse einer raschen Verfahrenserledigung unterliegt, sondern über ihn als Ausdruck verfassungsrechtlich garantierten Anspruchs auf rechtliches Gehör nur vom Betr. als Inhaber dieses subjektiven Rechts selbst verfügt werden kann. Eine abweichende Regelung ist nur für den Fall des unentschuldigten Ausbleibens eines Betr. in § 74 Abs. 2 OWiG vorgesehen, wonach der Einspruch ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen ist. Letztere Vorgehensweise hat das AG auch in der auf den 27.4.2018 datierten Ladung der Betr. für den Fall ihres unentschuldigten Fernbleibens angekündigt.

Ersichtlich ist das AG jedoch letztlich nicht von einem Fall des § 74 Abs. 2 OWiG ausgegangen, sondern hat augenscheinlich das Verfahren gem. § 74 Abs. 1 OWiG gewählt und zur Sache verhandelt.

Die Voraussetzungen des § 74 Abs. 1 S. 1 OWiG lagen indes nicht vor, weil eine Entbindung der Betr. von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen entsprechend dem Vortrag in der Begründungsschrift nicht vorlag bzw., so diese konkludent in dem Verhandeln des AG zur Sache erblickt werden kann, unzulässig war. Eine derartige Entpflichtung setzt gem. § 73 Abs. 2 OWiG ihrerseits voraus, dass die Betr. beantragt hat, sie von der Verpflichtung zum persönlichen Erscheinen in der Hauptverhandiung zu befreien. Ein derartiger Antrag der Betr. lag zum Zeitpunkt der Hauptverhandlung nicht mehr vor, da er mit Verteidigerschriftsatz vom 15.5.2018 zurückgenommen worden war.

Die unzulässige Durchführung der Hauptverhandlung in Abwesenheit der Betr. beinhaltet zugleich eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör (OLG Brandenburg NZV 2003, 587).'

Dem schließt sich der Senat nach eigener Sachprüfung an. Die Sache bedarf erneuter Verhandlung.

2. Ergänzend und zur Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass die Einspruchsrücknahme der Betr. nach der Entscheidung des Senats vom 14.3.2018 nicht mehr zulässig gewesen ist, da der Schuldspruch bestehen geblieben und das Urteil nur im Bußgeldausspruch aufgehoben worden ist (BayObLG NZV 1997, 89; Göhler, OWiG, 17. Aufl., § 71 Rn 6a). Da aber der Antrag der Betr. auf Zulassung der Rechtsbeschwerde schon mit der Rüge der Verletzung rechtlichen Gehörs durchdringt, kommt es auf andere Zulassungsgründe insoweit nicht mehr an. …“

Mitgeteilt von Alexander Gratz, Bous

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