StVG § 4 Abs. 1 S. 2; FeV § 11 Abs. 8 § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 5; VwGO § 80 Abs. 5, Abs. 3 § 123

Leitsatz

1. Der Sofortvollzug der Fahrerlaubnisentziehung ist mit Blick auf den Ausnahmecharakter des § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO dann nicht ordnungsgemäß begründet, wenn die Behörde nicht deutlich macht, dass sie bei der Anordnung des Sofortvollzugs den Einzelfall im Blick hatte. Eine durchgängig nur allgemein und formelhaft gehaltene Begründung reicht nicht. In diesem Bereich werden sich allerdings häufig die Gründe für den Erlass der Fahrerlaubnisentziehung mit den Gründen für ihren sofortigen Vollzug decken, weil es hier darum geht, die Gefahren, welche von ungeeigneten Kraftfahrern für die Allgemeinheit und den öffentlichen Straßenverkehr ausgehen, effektiv und damit möglichst umgehend zu vermeiden. Wird in diesen Fällen aus der Begründung der Verfügung bereits die besondere Dringlichkeit der Vollziehungsanordnung sowie die von der Behörde getroffene Interessenabwägung hinreichend deutlich, kann sich dementsprechend zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen die Sofortvollzugsbegründung in einer Bezugnahme auf die Begründung für den Verwaltungsakt erschöpfen. Dieser Verweis muss dann aber auch vorliegen.

2. Ob eine Straftat i.S.d. § 11 Abs. 3 Nr. 5 FeV erheblich ist, richtet sich nach ihrem Bezug zur Fahreignung des Betroffenen. Dabei ist auch zu berücksichtigen, wenn im Einzelfall eine Bewertung mit Punkten im VZR erfolgt ist und der Gesetzgeber gem. § 4 StVG davon ausgeht, dass der dort geregelte, abgestufte Maßnahmenkatalog aus Verwarnungen und Nachschulungen regelmäßig geeignet und ausreichend ist, den aus punktebewerteten Verkehrsverstößen oder Straftaten entstehenden Eignungsbedenken zu begegnen. Um dieses System zu verlassen und darüber hinausgehende Ausklärungsmaßnahmen im Hinblick auf die Fahreignung gem. § 4 Abs. 1 S. 2 StVG zu rechtfertigen, müssen Besonderheiten den Einzelfall vom Regelfall im Sinne einer deutlich erhöhten Gefährlichkeit für den öffentlichen Straßenverkehr abheben. Diese Gründe müssen sorgfältig abgewogen und in der Anordnung dargelegt werden.

3. Die Anordnung zur Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens leidet an einem Rechtsfehler, wenn die Behörde bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen des § 11 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 bis 9 FeV ihr Ermessen nicht ordnungsgemäß ausgeübt hat (im Fall: fehlende Auseinandersetzung mit dem Vorrang des Punktsystems, kein Abwägen von milderen Mitteln, kein Abwägen des im Einzelfall bestehenden Gefahrenpotenzials). Eine auf § 11 Abs. 8 FeV gestützte Fahrerlaubnisentziehung ist dann rechtswidrig.

(Leitsätze der Schriftleitung)

VG Neustadt an der Weinstraße, Beschl. v. 18.12.2012 – 1 L 986/12.NW

1 Aus den Gründen:

“ … Der Antrag, im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid des AG v. 12.11.2012 wieder herzustellen, hat Erfolg.

Zunächst ist hier der Sofortvollzug der Fahrerlaubnisentziehung schon deshalb zu hemmen, weil der AG diesen nicht ordnungsgemäß begründet hat. Die von der Behörde gem. § 80 Abs. 3 VwGO verlangte Begründung, weshalb das öffentliche Interesse am Sofortvollzug des Verwaltungsakts gegenüber dem Suspensivinteresse des Einzelnen ausnahmsweise überwiegt, erfüllt eine Warnfunktion. Die Begründung darf deshalb nicht formelhaft erfolgen, sondern muss erkennen lassen, dass die Behörde bei der Anordnung des Sofortvollzugs den Einzelfall im Blick hatte; dies gilt auch beim Entzug einer Fahrerlaubnis (vgl. OVG RP, Beschl. v. 3. 12.2008 – 10 B 11168/08.OVG und v. 21.3. 2012 – 10 B 10186/12.OVG; Beschl. der Kammer v. 27.11.2012 – 1 L 961/12.NW). In diesem Bereich werden sich allerdings häufig die Gründe für den Erlass der Fahrerlaubnisentziehung mit den Gründen für ihren sofortigen Vollzug decken, geht es doch darum, die Gefahren, welche von ungeeigneten Kraftfahrern für die Allgemeinheit und den öffentlichen Straßenverkehr ausgehen, effektiv und damit möglichst umgehend zu vermeiden. Wird in Fällen dieser Art aus der Begründung der Verfügung bereits die besondere Dringlichkeit der Vollziehungsanordnung sowie die von der Behörde getroffene Interessenabwägung hinreichend deutlich, kann sich dementsprechend zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen die Sofortvollzugsbegründung in einer Bezugnahme auf die Begründung für den Verwaltungsakt erschöpfen (vgl. OVG RP, a.a.O.).

Im vorliegenden Fall hat der AG in der Begründung des Sofortvollzuges nicht erkennen lassen, dass er den Einzelfall des ASt. im Blick hatte, denn die Begründung ist durchgängig nur allgemein und formelhaft gehalten. Er hat hier auch nicht auf die Gründe für die Fahrerlaubnisentziehung verwiesen; zudem führt er darin lediglich aus, dass der ASt. sich einer Körperverletzung sowie eines unerlaubten Entfernens vom Unfallort strafbar gemacht hat, dass gegen ihn eine Anordnung zur Vorlage des medizinisch-psychologischen Gutachtens ergangen ist und er dieses nicht vorgelegt hat. Ferner wird auf § 11 Abs. 8 FeV und § 46 Abs. 1 S. 2 FeV hingewiesen sowie auf die Begut...

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