Ist hinreichend wahrscheinlich, dass der Geschädigte eine bestimmte Ausbildung begonnen oder einen bestimmten Beruf ergriffen hätte, stellt sich die Frage nach dem zu erwartenden Erfolg, also danach, ob und wie die Ausbildung beendet worden und wie überhaupt die anschließende berufliche Entwicklung verlaufen wäre. Kann ohne weiteres angenommen werden, die Geschädigte hätte ihre kaufmännische Ausbildung erfolgreich abgeschlossen und anschließend eine Festanstellung in ihrem Beruf erhalten? Kann dem verhinderten Jurastudenten prognostiziert werden, er hätte das Studium ohne das schädigende Ereignis mit Prädikatsexamen bestanden und anschließend eine Einstellung in den Staatsdienst oder in eine Großkanzlei erhalten?

Auch hier hat der BGH eine wichtige Hilfestellung entwickelt: Danach kann nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge von einem voraussichtlich durchschnittlichen Erfolg des Geschädigten in seiner Tätigkeit ausgegangen werden, wenn keine hinreichenden Anhaltspunkte für Erfolg oder Misserfolg sprechen.[73] Im Zweifel kann sich also der Geschädigte auf eine zwar durchschnittliche, aber immerhin erfolgreiche Fortführung der begonnen Ausbildung oder eines anderen Berufseintritts stützen.

Diese Vermutung basiert ebenfalls auf einem der Erfahrung entspringenden Wahrscheinlichkeitsurteil. Zahlreiche Problemstellungen, wie sie etwa anlässlich des 22. Verkehrsgerichtstages im Einzelnen aufgezeigt wurden,[74] können mit ihrer Hilfe überwunden werden. So beispielsweise im Fall eines Fußballspielers, dem das Berufungsgericht zwar attestierte, es sei hinreichend wahrscheinlich, dass er ohne das schädigende Ereignis Amateurtrainer geworden wäre, nicht aber, dass er auch hinreichend erfolgreich gewesen wäre, um entsprechende Verträge von Vereinen über zwei Spielzeiten hinaus zu erhalten.[75] Das Berufungsgericht hatte damit – angesichts des mit großen Unsicherheiten belasteten Trainerberufs nicht ganz unverständlich – den Verdienstausfall an den Nachweis einer erfolgreichen Trainertätigkeit geknüpft und dem Geschädigten Steine statt Brot zuerkannt. Der ohnehin schwierige Nachweis, er hätte mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Traineramt erlangt, wird nämlich wertlos, wenn ihm zugleich auferlegt wird, den im Nachhinein nie verlässlich feststellbaren Nachweis zu führen, er sei in dem Beruf erfolgreich gewesen. Wird hingegen ein durchschnittlicher Erfolg vermutet, erhält der Geschädigte eine deutlich bessere Ausgangslage.

Mit der Vermutung, dass ein/e Auszubildende/r in der Ausbildung und ein/e Student/in im Studium erfolgreich gewesen wäre, dass er/sie im Anschluss an die Ausbildung eine Festanstellung erlangt hätte und dass er/sie in seinem Beruf eine normale berufliche Entwicklung durchlaufen hätte, steigen die Anforderungen an die Darlegungslast des Schädigers im Rahmen von Einwendungen. Konkrete Hinweise auf eine vom Durchschnittsverlauf abweichende berufliche Entwicklung dürften nur selten vorliegen, sieht man von grundlegenden Umwälzungen einmal ab, wie sie beispielsweise in der Einstellung des Bergbaus für die betroffenen Bergleute oder in der großflächigen Stilllegung bestimmter Industriezweige für die dort Beschäftigten liegen. Dem Schädiger können diesen Fällen in erster Linie statistische Daten von Nutzen sein, etwa wenn – wie im Fall des Jurastudenten – lediglich rd. 10 % der Examinierten eine Stellung als Richter oder im sonstigen Öffentlichen Dienst finden. Dennoch sei vor einer Überbewertung der Statistik gewarnt. Stets ist die Überzeugungsbildung des Gerichts abhängig von der Gesamtheit der Umstände. Dies hat das Gericht im Fall eines zum Unfallzeitpunkt 12 jährigen Jungen, der behauptet hatte, er hätte mit 25 Jahren die Meisterprüfung im Elektrohandwerk erfolgreich abgelegt, dazu bewogen, trotz einer vergleichsweise ungünstigen statistischen Ausgangslage – nur 20 % der Ausbildungsanfänger legte damals auch eine Meisterprüfung ab – den erfolgreichen Abschluss der Meisterprüfung aufgrund der positiven Familienbiographie und seiner bis zum Unfallzeitpunkt erbrachten Leistungs- und Befähigungsnachweise als hinreichend wahrscheinlich anzusehen.[76]

[73] Zuletzt etwa BGH 2011, 1145 a.a.O., Rn 18 m.w.N.
[74] Funk a.a.O. und Riesenbeck a.a.O., der unter anderem dargelegt hatte, dass die Aufnahme einer Ausbildung oder eines Studiums gerade noch keinen Hinweis darauf enthalte, dass am Ende auch ein Abschluss mit Erfolg – und wenn ja mit welchem Erfolg – stehe.
[75] BGH NJW 1998, 1633 a.a.O.
[76] OLG Köln NJW 1971, 59; vgl. auch LG Aschaffenburg, Urt. v. 17.12.1999 – 3 O 674/98 = SP 2000, 125 (juris), das umständehalber ebenfalls den erfolgreichen Abschluss der Meisterprüfung im Schreinerhandwerk prognostiziert hat.

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