"… Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Zu Recht hat das LG die Klage abgewiesen, denn eine Invalidität von 50 % kann nicht festgestellt werden. Es fehlt an einer dauerhaften Beeinträchtigung."

1. Maßgeblicher Stichtag für die Beurteilung der Invalidität ist der 3.6.2015 – wie das LG zutreffend angenommen hat.

Nach der Rspr. des BGH (zfs 2016, 103) ist zwischen Erstbemessung der Invalidität (§ 180 VVG) und ihrer Neubemessung (§ 188 VVG) zu unterscheiden. Eine Neubemessung der Invalidität kommt erst nach vorangegangener Erstbemessung in Betracht. Maßgeblich für die Erstbemessung ist der Zeitpunkt des Ablaufs der vereinbarten Invaliditätsfrist – hier ein Jahr – (vgl. BGH a.a.O.; BGH zfs 2017, 701). Auf die Drei-Jahres-Frist kommt es nur ausnahmsweise an, wenn der VN noch vor Ablauf dieser Neubemessungsfrist klageweise Invaliditätsansprüche geltend macht (…). In einem solchen Fall gehen nach Auffassung des BGH die Prozessbeteiligten typischerweise davon aus, dass der Streit insgesamt in dem vor Fristablauf eingeleiteten Prozess ausgetragen werden soll einschließlich etwaiger weiterer Invaliditätsfeststellungen. Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor. Die Frist für die Neufestsetzung in Ziff. 9.4 der AUB 2008 beträgt drei Jahre und wäre am 3.6.2017 abgelaufen. Die Klage wurde jedoch erst am 8.2.2018 – und damit nach Fristablauf – erhoben. Ist das Neufestsetzungsverfahren – wie hier – mangels Erstfestsetzung nicht eröffnet, ist für die nur im Neufestsetzungsverfahren vorgesehene Befristung kein Raum. Wäre der VR bei jeder medizinischen Unwägbarkeit berechtigt, drei Jahre schon mit der Erstbemessung zuzuwarten, liefe das dem System der AUB mit der Unterscheidung zwischen Erst- und Neubemessung zuwider (so BGH zfs 2016, 103). Auch der Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung ist nicht entscheidend für die Erstbemessung. Ebenso wenig kommt es auf den Zeitpunkt der vom VR veranlassten ärztlichen Invaliditätsfeststellung an (…). Ob und wann die ärztliche Invaliditätsfeststellung erfolgt, hängt vom Zeitpunkt der Meldung des Unfallereignisses, der Beauftragung eines ärztlichen Gutachters durch den VR und der dann erfolgten ärztlichen Feststellungen ab. Diese zeitlichen Zufälligkeiten können nicht maßgebend für die Frage des Bestehens bedingungsgemäßer Invalidität sein. Es ist auch nicht verständlich, warum es Einfluss auf den Bewertungsstichtag haben soll, wenn der VN (oder der Versicherte) sich auf Wunsch des VR einer Begutachtung unterzieht. Dem allein kann ein Wille, mit einem anderen als dem in den AGB festgelegten Bewertungsstichtag einverstanden zu sein, nicht entnommen werden. Auch der Auffassung, dass auf den Zeitpunkt abzustellen ist, zu dem der weitergehende Abschluss des Heilverfahrens erstmals eine zuverlässige Invaliditätsfeststellung zulasse, hat der BGH eine Absage erteilt. Denn hier wird der Zeitpunkt für die Erstbemessung der Invalidität mit demjenigen der ärztlichen Feststellung sowie der Fälligkeit der Invaliditätsleistung nach Abschluss der erforderlichen Ermittlungen vermischt. Aus dem Umstand, dass der Versicherte noch am 6.11.2016 eine Einwilligungs- und Schweigepflichtentbindungserklärung unterzeichnet hat, kann daher nicht entnommen werden, dass er konkludent einer Verschiebung des maßgeblichen Bemessungszeitpunktes zugestimmt hat. Die Begutachtung ist im Übrigen auch nicht von der Bekl. veranlasst worden, sondern von der W. Versicherungs AG. Auf dieses Gutachten bezieht sich im Wesentlichen der von der Bekl. beauftragte Neurologe Dr. D. in seiner Stellungnahme v. 29.10.2018.

2. Die Kl. hat unstreitig binnen Jahresfrist die Ansprüche angemeldet. Es liegt auch eine fristgemäße ärztliche Invaliditätsfeststellung auf dem Formular der Bekl. vor. Dabei sind an die ärztlichen Feststellungen keine hohen Anforderungen zu stellen. Es reicht vielmehr eine Feststellung dem Grunde nach aus (vgl. OLG Frankfurt, r+s 2019, 282). Aus dem ärztlichen Bericht v. 13.4.2015 ergibt sich, dass die Unfallverletzungen nicht mehr vollkommen abheilen werden, aber der Grad der Invalidität von mindestens 50 % ärztlicherseits noch nicht zuverlässig eingeschätzt werden kann. Dies genügt. Es ist nicht erforderlich, bereits in der ärztlichen Feststellung den Grad der Invalidität zu benennen.

3. Es fehlt aber an einer dauerhaften Beeinträchtigung. Diese ist in Ziff. 2.1.1.1 AUB 2008 dahingehend definiert, dass die Beeinträchtigung voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung des Zustandes nicht erwartet werden kann. Hieraus folgt, dass bei der Beurteilung der Dauerhaftigkeit auf den drei Jahre nach dem Unfall vorliegenden und zu diesem Zeitpunkt erkennbaren, d.h. hinreichend prognostizierbaren, Dauerzustand abzustellen ist (vgl. BGH zfs 2017, 701). Es kommt aber nicht auf den Zustand nach Ablauf der Drei-Jahres-Frist an. Dies bedeutet lediglich, dass auf der Grundlage des Erkenntnisstandes im Zeitpunkt der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung rückschauend eine Betrachtung vo...

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