Die letztjährigen Homburger Tage befassten sich u.a. mit den Grundsätzen, die im Straßenverkehr für die Verantwortlichkeit von Kindern im Alter zwischen sieben und zehn Jahren gelten.[19] Es ging insb. um die Beweislastverteilung bei der Frage, ob eine typische Überforderungssituation gegeben oder nicht gegeben ist; im letzteren Fall kommt die Haftungsfreistellung nach § 828 Abs. 2 S. 1 BGB n.F. ausnahmsweise nicht zur Anwendung.[20]

Inzwischen hatte der Senat Gelegenheit, die Abwägung der Mitverursachungs- und Mitverschuldensanteile nach § 9 StVG, § 254 BGB bei der Beteiligung eines über zehnjährigen Kindes zu überprüfen.[21]

Anlass war folgender Fall:

Peter – vor sieben Tagen gerade zehn Jahre alt geworden – befindet sich auf dem Heimweg von der Schule. Die neben ihm fahrende Fahrzeugkolonne kommt zum Stillstand, weil eine weiter oberhalb gelegene Ampel auf "Rot" schaltet. Peter sucht dies zu nutzen, um die Straße zu queren. Er läuft hinter einem stehenden Lkw auf die Fahrbahn, um auf die andere Straßenseite zu gelangen. Dabei wird er von dem in Gegenrichtung fahrenden Pkw erfasst und schwer verletzt.

Den von der gesetzlichen Unfallversicherung auf Schadensersatz in Anspruch genommenen Pkw-Fahrer (und -Halter) traf unstreitig kein Verschulden. Einzustehen hatte er aber für die Betriebsgefahr seines Pkw, und zwar nach § 7 StVG n.F. Der Unfall war nicht durch "höhere Gewalt" verursacht worden, was nach § 7 Abs. 2 StVG n.F. alleine hätte die Haftung ausschließen können. Dass ein Kind unversehens vor einem Auto die Straße zu queren sucht, kann nicht als "betriebsfremdes, von außen durch elementare Naturkräfte oder durch Handlungen dritter Personen herbeigeführtes Ereignis" angesehen werden; vielmehr ist ein "innerbetriebliches" Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers anzunehmen.

Gemäß § 7 Abs. 1, § 9 StVG n.F., §§ 254, 828 Abs. 3 BGB n.F. war mithin abzuwägen zwischen dem der Betriebsgefahr des Pkw zuzurechnenden Verursachungsanteil und dem Mitverschulden des über zehnjährigen Kindes. Dabei waren folgende Grundsätze zu berücksichtigen:

Der Zweck der Gefährdungshaftung umfasst grds. die Risikoerhöhung, die damit verbunden ist, dass Kinder am Verkehr teilnehmen. Dass ein Kind durch sein verkehrswidriges Verhalten mit zu dem Unfall beigetragen hat, ist demnach haftungsrechtlich der Betriebsgefahr des Kraftfahrzeugs zuzuordnen, wenn und soweit sich darin altersgemäß der Lern- und Eingewöhnungsprozess des Kindes in die Gefahren des Straßenverkehrs niederschlägt, mit dessen Schadenslasten der Kraftfahrzeugbetrieb nach dem Zweck der Gefährdungshaftung mitbelastet sein soll. In diesem Zusammenhang steht auch die Regelung des § 3 Abs. 2a StVO. Die Vorschrift erlegt dem Kraftfahrzeugführer besondere Verhaltenspflichten auf, um dem Hineinwachsen der Kinder in den Verkehr Rechnung zu tragen. Bei der Abwägung nach § 9 StVG, § 254 BGB kann mithin der Betriebsgefahr des an dem Unfall beteiligten Kraftfahrzeugs nicht haftungsentlastend das verkehrswidrige Verhalten des geschädigten Kindes in derselben Weise gegenübergestellt werden, wie das bei dem Mitverschulden von erwachsenen Verkehrsteilnehmern der Fall wäre. Soweit sich in dem Mitverursachungsbeitrag des Kindes altersgemäße Defizite der Integrierung in den Straßenverkehr und seine Gefahren ausgewirkt haben, stellt er den Fahrzeughalter auch dann nicht von der Haftung nach § 7 StVG frei, wenn dieser Mitverursachungsbeitrag objektiv als grob verkehrswidrig erscheint. Wäre ein Erwachsener geschädigt worden, könnte dies den Halter von der Gefährdungshaftung befreien.[22] Bei der Bewertung des Mitverschuldens von Kindern nach § 9 StVG, § 254 BGB genügt die Betrachtung der Verursachungsanteile nicht. Zu berücksichtigen sind ferner die subjektiven Faktoren auf Seiten des Kindes, die an altersgemäßen Maßstäben zu messen sind. In diesem Rahmen ist neben einer quotenmäßigen Haftungsverteilung durchaus Raum, den Halter gegebenenfalls vollständig von der Haftung freizustellen. Allerdings wird bei Kleinkindern eine völlige Haftungsfreistellung des Halters nur ausnahmsweise in Betracht kommen; dies zwar nur dann, wenn auf der Seite des Kindes – gemessen an dem altersspezifischen Verhalten von Kindern – auch subjektiv ein besonders vorwerfbarer Sorgfaltsverstoß vorliegt. Je jünger das Kind ist, desto eher ist sein verkehrswidriges Verhalten dem Gefahrenkreis zuzurechnen, dessen Schadenslasten die Gefährdungshaftung dem Halter des Kraftfahrzeugs zuweist. Andererseits gewinnt das objektive Gewicht des von dem Kind zu verantwortenden (§ 828 BGB) Unfallbeitrags in der Abwägung mit der Betriebsgefahr immer mehr an Bedeutung, je stärker das Kind vom Alter her in den Straßenverkehr integriert sein muss.

Die insoweit geltenden Anforderungen an die Sorgfaltspflichten von Verkehrsteilnehmern ab dem beginnenden zehnten Lebensjahr sind nach der Rspr. des BGH zu § 828 BGB n.F.[23] nicht geringer anzusetzen, als nach früherem Recht.

Im Streitfall sah das Berufungsgericht einen objektiv besonders vorwer...

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